Von Null auf KI: Wie Vergabestellen KI-Tools verantwortungsvoll einführen

Von Null auf KI: Wie Vergabestellen KI-Tools verantwortungsvoll einführen

Zeitdruck, umfangreiche Dokumentationspflichten und ein spürbarer Fachkräftemangel sind für viele Vergabestellen längst Alltag. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an Transparenz und Nachvollziehbarkeit stetig. Genau dort, wo besonders sorgfältig gearbeitet werden muss, fehlt häufig die Zeit für gründliche Vorbereitung. Moderne Sprachmodelle wie OpenAIs „ChatGPT“ und Anthropics „Claude“ können hier eine Lücke schließen. Weshalb der Einsatz kein Selbstzweck ist, welche rechtlichen Fallstricke lauern und wie ein rechtssicherer Pilotbetrieb gelingt, erläutern wir in diesem Beitrag.

Inhalt

  • Worum geht es?
  • Exkurs: Die vergaberechtliche Verantwortung
  • Drei Beispiele aus der Vergabepraxis
  • Vorüberlegungen: Vergaberechtlicher Rahmen & Markterkundung
  • Datenschutz und Compliance: Mindestanforderungen vor dem Start
  • Quick-Check: Ihr 5-Schritte-Fahrplan
  • Risiken antizipieren

Worum geht es?

Moderne KI-Systeme sind in der Lage, binnen Minuten erste Fassungen von Leistungsbeschreibungen zu entwerfen, Fragenkataloge für Markterkundungen zu strukturieren oder Antwortentwürfe auf Bieterfragen zu formulieren. Richtig eingesetzt, entwickeln sie sich zu einem Werkzeug, mit dem juristische und fachliche Arbeit besser strukturiert und effizienter vorbereitet werden kann.

Die Kernfrage, die sich viele Vergabestellen dabei stellen: Wie lässt sich moderne Technologie nutzen, ohne die rechtliche Verantwortung aus der Hand zu geben oder gegen das Vergaberecht zu verstoßen?

Exkurs: Die vergaberechtliche Verantwortung

Was sagt die deutsche Rechtsprechung zur Verantwortlichkeit, wenn externe Unterstützung in die Wertung einbezogen wird? Spezifische Entscheidungen zum KI-Einsatz gibt es bisher nicht. Das ist für diese Fragestellung aber auch nicht nötig. Aus deutscher Sicht bleibt klar: Externe Unterstützung in Vergabeverfahren ist zulässig, die Entscheidungshoheit liegt aber unverändert bei der öffentlichen Auftraggeberin.

Die Vergabekammern verlangen, dass Auftraggeber externe Bewertungen aktiv prüfen und sich zu eigen machen. Ein kurzer Prüfvermerk kann ausreichen, aber eben „kein bloßes Abnicken“. Die Vergabestelle muss die Wertung und Zuschlagsentscheidung eigenverantwortlich treffen und begründet dokumentieren. Mit anderen Worten: Die Zuständigkeit der öffentlichen Auftraggeberin darf nicht zu einer „leeren Hülle“ verkommen.

Übertragen auf den Einsatz von KI-Systemen heißt das: Eine KI darf analysieren, strukturieren und Formulierungsvorschläge liefern. Entscheiden muss aber weiterhin der (menschliche) Auftraggeber. Diese Wertung findet sich konsistent in der Spruchpraxis der Vergabekammern (vgl. etwa VK Nordbayern, Beschluss vom 18.06.2020 – Az. RMF SG 21 3194 5 7; VK Südbayern, Beschluss vom 16.05.2022 – Az. 3194.Z3 3_01 21 62 sowie VK Bund, Beschluss vom 07.12.2022 – Az. VK 1 95/22).

Drei Beispiele aus der Vergabepraxis

Um greifbar zu machen, was KI in der Vergabestelle tatsächlich leisten kann, gehen wir auf drei typische Einsatzszenarien ein. Dementsprechend geht es in allen Fällen um Entwürfe und Struktur, nicht um „fertige“ Rechtstexte.

  1. Vom leeren Blatt zur tragfähigen Struktur

In einem Projekt sollen 50 Dienst-Laptops inklusive Instandhaltung beschafft werden. Der Fachbereich ist stark ausgelastet, Sie brauchen aber zügig einen ersten Entwurf. Mit einem Standard-Prompt erhalten Sie zwar eine brauchbare Grobstruktur, diese ist allerdings generisch.

Ein auf Ihre Strukturen konfigurierter sog. „CustomGPT“ (OpenAI) bzw. „Claude Project“ (Anthropic), dem Sie Ihre bisherigen Muster-Leistungsbeschreibungen hinterlegt haben, geht deutlich weiter: Das Modell orientiert sich an Ihren eigenen Strukturen, übernimmt nur die für Sie relevanten Kategorien (z. B. EVB-IT) und weist im Zweifel darauf hin, wo zwingend fachliche Präzisierungen nötig sind. Sie erhalten damit keine „Phantasie-Leistungsbeschreibung“, sondern einen Entwurf, der bereits im Duktus Ihrer Vergabestelle liegt.

  1. Markterkundung vorbereiten

Vor der Beschaffung einer neuen Fachsoftware soll eine Markterkundung gemäß § 28 VgV durchgeführt werden. Ein CustomGPT bzw. Claude Project, das mit Ihrem Vergabeleitfaden „gefüttert“ ist, arbeitet hier präziser als eine einfache Websuche: Es orientiert sich an Ihren bewährten Fragen, ergänzt projektspezifische Aspekte und schlägt eine strukturierte Matrix vor, in der Sie die Anbieter vergleichbar gegenüberstellen können. So entsteht gleichzeitig eine Dokumentation, die sich direkt in den Vergabevermerk integrieren lässt.

  1. Bieterfragen beantworten

Während der Angebotsphase gehen zahlreiche, teils komplexe Bieterfragen ein. Ein KI-Tool, das die vollständigen Vergabeunterlagen und Ihre internen FAQ-Regeln als Wissensbasis nutzt, kann hier unterstützen. Es erzeugt Antwortentwürfe, die sich eng an den bestehenden Unterlagen orientieren und auf bereits gegebene Antworten verweisen, statt neue Zusagen zu „erfinden“.

Vorüberlegungen: Vergaberechtlicher Rahmen & Markterkundung

Bevor eine Vergabestelle ein KI-Tool einführt, sollte der vergaberechtliche Rahmen abgesteckt werden. In der Regel bietet sich ein zeitlich begrenztes Pilotprojekt mit wenigen Nutzerlizenzen an.

Auftragswertschätzung

Ausgangspunkt ist die Schätzung des Auftragswerts nach § 3 VgV. KI-Dienste werden typischerweise als „Software as a Service“ (SaaS) angeboten. Maßgeblich ist der geschätzte Gesamtwert aller über die Vertragslaufzeit zu zahlenden Entgelte. Für klassische öffentliche Auftraggeber liegt der EU-Schwellenwert aktuell bei 221.000 Euro netto (ab 01.01.2026: 216.000 Euro). Ein KI-Pilot mit drei bis fünf Lizenzen und einer Vertragslaufzeit von zwölf Monaten wird bei realistischen Lizenzpreisen weit unterhalb dieser Schwellen liegen.

Unterschwellenvergabe

Im Unterschwellenbereich greifen primär Haushaltsrecht, Landesrecht und die UVgO. Je nach Bundesland kann ein KI-Pilot als Direktauftrag oder Verhandlungsvergabe ohne Teilnahmewettbewerb durchgeführt werden. Zu beachten ist indessen die Gestaltung der Laufzeit: Wer nur einen Piloten etablieren möchte, sollte bewusst eine kurze Vertragslaufzeit (z. B. zwölf Monate) wählen und auf automatische Verlängerungsmechanismen verzichten. Andernfalls besteht das Risiko, dass der Vertrag faktisch eine langfristige Rahmenvereinbarung abbildet, deren Auftragswert – hochgerechnet über mehrere Jahre – vergaberechtlich in eine andere Kategorie fällt.

Markterkundung: Modelle und Kosten

Um eine seriöse Schätzung vorzunehmen, ist eine Markterkundung unerlässlich. Zur Orientierung lässt sich für ein typisches Pilot-Szenario (drei bis fünf Nutzer, 12 Monate) folgende Unterscheidung treffen:

  • Einzelabos (Plus/Pro): Eignen sich eher für frühe Tests mit anonymisierten Beispielen. Kostenpunkt: In der Regel im unteren vierstelligen Bereich pro Jahr.
  • Team- oder Business-Pläne: Bieten eine zentrale Admin-Konsole zur Verwaltung der Team-Mitglieder (Stichwort: Rechte und Rollen), einheitliche Abrechnung und regelmäßig einen Auftragsverarbeitungsvertrag (AVV) nach Art. 28 DSGVO. Kostenpunkt: Meist im unteren bis mittleren vierstelligen Bereich pro Jahr.
  • Enterprise-Modelle: Erfordern meist höhere Mindestabnahmen und sind im reinen Pilotkontext oft überdimensioniert. Die Preise sind stark abhängig vom jeweiligen Anbieter und der individuellen Verhandlungsergebnisse zwischen Anbieter und Vergabestelle.

Datenschutz und Compliance: Mindestanforderungen vor dem Start

Bevor eine Vergabestelle ein KI-Tool produktiv einsetzt, müssen die datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen geklärt sein. Ohne ein belastbares Grundgerüst besteht die Gefahr, dass ein harmloser Pilot zum DSGVO-Problem wird.

Zentral ist die Definition der Rollen: Die Vergabestelle bleibt Verantwortliche (Art. 4 Nr. 7 DSGVO), der Anbieter agiert als Auftragsverarbeiter (Art. 4 Nr. 8 DSGVO). Dies setzt zwingend eine Auftragsverarbeitungsvereinbarung (AVV) voraus.

Hinzu kommt die Datenübermittlung in Drittländer. Seit dem Angemessenheitsbeschluss zum EU-U.S. Data Privacy Framework (DPF) können Übermittlungen an zertifizierte US-Unternehmen zwar hierauf gestützt werden, gleichwohl empfehlen sich zusätzliche vertragliche Sicherungen.

Achtung bei Bieterkonzepten (Urheberrecht): Nicht nur personenbezogene Daten sind schützenswert. Vorsicht ist auch geboten, wenn urheberrechtlich geschützte Konzepte oder Lösungsansätze von Bietern in das Tool eingegeben werden. Bei KI-Modellen, die Eingaben zu Trainingszwecken nutzen, führt dies in der Regel zur Verletzung von Urheberrechten Dritter. Nutzen Sie daher ausschließlich Enterprise/Business-Tarife, die Ihnen die Möglichkeit einräumen zu verhindern, dass Ihre Eingaben zum Training der Modelle verwendet werden. Aber auch bei deaktiviertem KI-Training muss die Vergabestelle prüfen, ob das Urhebergesetz die Eingabe des fremden Werks in das KI-System und die Verarbeitung dieses Werks innerhalb dieses Tools erlaubt.

Quick-Check: Ihr 5-Schritte-Fahrplan

Damit der KI-Pilot in der Vergabestelle nicht im Ungefähren bleibt, haben wir einen Fahrplan entwickelt. Die folgende Checkliste dient Ihrer Orientierung für einen strukturierten Start.

Schritt Was ist zu tun? Ziel / Ergebnis
1. Use Cases definieren Fokussieren Sie sich auf 2-3 klare Anwendungsfälle (z.B. Entwurf Leistungsbeschreibung, Markterkundung). Klare Abgrenzung, wo KI unterstützen darf und wo nicht.

 

2. Vergabe-strategie Wählen Sie einen begrenzten Piloten im Unterschwellenbereich (z.B. 12 Monate). Dokumentation im Vergabevermerk (Direktauftrag/Verhandlungsvergabe).

 

3. Datenschutz Schließen Sie einen AVV, erstellen Sie eine interne Dienstanweisung (z.B. keine Klarnamen, keine VS-eingestuften Daten) und binden Sie frühzeitig den Personalrat ein (Stichwort: Leistungskontrolle/Mitbestimmung). Rechtssicherheit nach DSGVO; Verhinderung von Abflüssen sensibler Daten.

 

4. Pilotphase Führen Sie einen 4-Wochen-Test unter Realbedingungen durch. Protokollieren Sie Ergebnisse. Ermittlung belastbarer Daten zur Zeitersparnis und Qualität der KI-Outputs.

 

5. Entscheidung Werten Sie aus: Beendigung, zeitlich begrenzte Fortführung oder Übergang in ein reguläres Vergabeverfahren? Vermeidung einer schleichenden „Schatten-IT“ ohne Vergabegrundlage.

 

 

Risiken antizipieren

Der Einsatz von KI ist kein Selbstläufer. Wer die Einführung plant, sollte drei Risikofelder besonders im Blick behalten:

  1. Inhaltliche Fehler (Halluzinationen): KI-Modelle formulieren auch Falsches überzeugend. Dies gilt insbesondere bei Normverweisen oder Fristen. Die Gegenmaßnahme ist banal, aber zwingend: Alle Outputs müssen fachlich und rechtlich geprüft werden (Vier-Augen-Prinzip).
  2. Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Bias): Sprachmodelle sind nicht neutral; sie spiegeln die Vorurteile ihrer Trainingsdaten wider. Es besteht folglich das Risiko, dass die KI solche Angebote, die in perfektem, eloquenten Hochdeutsch verfasst sind, in der Zusammenfassung inhaltlich besser bewertet als Angebote von Bietern, deren Muttersprache nicht Deutsch ist oder die eine nüchternere Sprache pflegen. Eine unreflektierte Übernahme von KI-Bewertungen kann daher unbemerkt gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen.
  3. Erosion der fachlichen Urteilsfähigkeit („De-Skilling“): Wenn KI-Tools das Entwerfen und Zusammenfassen übernehmen, droht schleichend ein Kompetenzverlust im Team. Insbesondere Nachwuchskräfte laufen Gefahr, das vergaberechtliche Handwerk nicht mehr „von der Pike auf“ zu lernen, wenn der erste Entwurf immer schon „fertig aus der Maschine“ kommt. Die Fähigkeit, die KI-Ergebnisse kritisch zu prüfen (das „Vier-Augen-Prinzip“), setzt jedoch genau dieses tiefgehende Fachwissen voraus. Zudem fordert die neue EU-KI-Verordnung (Art. 4 KI-VO) ausdrücklich die Förderung der KI-Kompetenz bei den Mitarbeitenden. Die Einführung eines Tools ohne begleitende Schulung ist daher nicht nur fahrlässig, sondern stellt zugleich einen Verstoß gegen die KI-VO dar.
  4. Mangelnde Reproduzierbarkeit (Dokumentation): Ein Kernprinzip des Vergaberechts ist die Dokumentation der Entscheidungsfindung. Generative KI ist jedoch „nicht-deterministisch“: Geben Sie denselben Prompt zweimal ein, erhalten Sie oft unterschiedliche Ergebnisse. Stützt sich eine Vergabeentscheidung maßgeblich auf eine KI-Analyse, muss sichergestellt sein, dass genau dieser Output (und der genutzte Prompt) archiviert wird. Denn eine spätere Rekonstruktion des KI-Ergebnisses ist technisch oft unmöglich.
  5. Transparenz gem. KI-VO: Zudem sollten Vergabestellen die Vorgaben der KI-Verordnung (Art. 50 KI-VO) kennen. Zwar müssen KI-generierte Texte, die veröffentlicht werden und von „öffentlichem Interesse“ sind, ab August 2026 grundsätzlich als solche gekennzeichnet werden. Diese Pflicht entfällt jedoch, wenn – wie in diesem Beitrag empfohlen – eine menschliche Überprüfung und redaktionelle Kontrolle stattfindet und die Behörde die Verantwortung für den Inhalt übernimmt.  Das unterstreicht erneut: Der „Human-in-the-Loop“ ist nicht nur eine Frage der Qualität, sondern auch der rechtlichen Compliance.

Fazit

Künstliche Intelligenz ist kein Allheilmittel, aber ein ernstzunehmendes Werkzeug, um den wachsenden Druck in Vergabestellen abzufedern. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Wir raten nicht zum unreflektierten Einsatz. Eine grundsätzliche Achtsamkeit schadet keineswegs. Wer KI einführen will, sollte dies mit einem bewusst gestalteten Pilotprojekt tun. Mindestens genauso wichtig ist der frühzeitige Blick auf die Folgeschritte: Ein Pilot, der funktioniert, braucht ein eigenes, vergaberechtlich durchdachtes Roll-out-Konzept.

Hinweis:
Dieser Beitrag ersetzt keine Rechtsberatung.
Für die Bewertung konkreter Vorhaben und Verträge ist stets eine einzelfallbezogene Prüfung erforderlich.

Okan Doğan
Rechtsanwalt | Partner, Fachanwalt für Informationstechnologierecht (IT-Recht), Doğan Pfahler Rechtsanwälte GbR, Hamburg

Josephine Kotsch
Vergabemanagerin, Doğan Pfahler Rechtsanwälte GbR, Hamburg

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