Bau-, Liefer- oder Dienstleistungsauftrag? So lässt sich die Leistungsart abgrenzen

Mit Beispielen für eine praxisnahe Einordnung

In der vergaberechtlichen und der zuwendungsrechtlichen Praxis ist es regelmäßig notwendig, eine Leistung eindeutig einer Leistungsart zuzuordnen. Je nach Leistungsart können sich Unterschiede in Bezug auf Schwellenwerte, Wertgrenzen, Verfahrensarten, aber auch anderer Formalien ergeben. Schwierig ist die Abgrenzung bei gemischten öffentlichen Aufträgen, die verschiedene Leistungen umfassen.

  1. Warum ist die Einordung so wichtig?

Die Einordnung eines öffentlichen Auftrags als Bau-, Liefer- oder Dienstleistungsauftrag ist regelmäßig ausschlaggebend für die Anwendung des richtigen Vergaberechts. Denn für Bauaufträge gilt beispielsweise ein anderer, deutlich höherer Schwellenwert als für Liefer- und Dienstleistungsaufträge, die in der Regel demselben – niedrigeren – Schwellenwert unterliegen. Eine Ausnahme gilt für soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne des Anhangs XIV der Richtlinie 2014/24/EU, für die ein eigener, abweichender Schwellenwert vorgesehen ist. Ab Erreichen der unten genannten Schwellenwerte gilt Kartellvergaberecht („EU-Vergaberecht“). Bei Unterschreiten der unten genannten Schwellenwerte gilt Haushaltsvergaberecht („nationales Vergaberecht“).

Die maßgeblichen Schwellenwerte ergeben sich aus Artikel 4 der Richtlinie 2014/24/EU. Sie betragen derzeit, Stand August 2025 (netto, ohne Umsatzsteuer):

  • Bauaufträge EUR 5.538.000,00
  • Liefer- und Dienstleistungsaufträge
    • „Normale“ öffentliche Auftraggeber EUR 221.000,00
    • obere/oberste Bundesbehörden EUR 143.000,00
    • Sektorenauftraggeber EUR 443.000,00
  • soziale und andere besondere Dienstleistungen EUR 750.000,00

Neben der Bedeutung für die Ermittlung des maßgeblichen Schwellenwerts kann die Einordnung in eine bestimmte Leistungsart auch innerhalb des EU-Vergaberechts bzw. des nationalen Vergaberechts zur Anwendung unterschiedlicher Regelwerke führen. Für Bauleistungen gilt im EU-Vergaberecht die VOB/A Abschnitt 2; die VgV ist daneben nur eingeschränkt anwendbar, vgl. § 2 VgV. Für Lieferleistungen gilt im EU-Vergaberecht die VgV.

Im Unterschwellenbereich ist die Leistungsart regelmäßig maßgeblich dafür, welche besonderen Bestimmungen aufgrund unterschiedlicher Wertgrenzen gelten.
Je nach Einordnung in eine bestimmte Leistungsart können sich Unterschiede bei den anzuwendenden Verfahrensarten und weiteren formalen Anforderungen ergeben. z. B. hinsichtlich der Veröffentlichungspflichten, der durchzuführenden Registerabfragen oder der Meldungen.

Eine fehlerhafte Einordnung kann dazu führen, dass ein unzulässiges Vergabeverfahren gewählt wird – etwa ein Verfahren im Unterschwellenbereich, obwohl der maßgebliche Schwellenwert erreicht ist, oder unter Anwendung eines unzutreffenden vergaberechtlichen Regelwerks. In solchen Fällen beruht das Verfahren regelmäßig auf unzutreffenden rechtlichen Voraussetzungen und kann damit vergaberechtswidrig sein.

Dies kann die Verpflichtung zur Aufhebung des Vergabeverfahrens nach sich ziehen. Würde trotz fehlerhafter Einordnung und daraus resultierender Vergaberechtsverstöße ein Vertrag geschlossen, könnte in bestimmten Fällen auch seine Unwirksamkeit festgestellt werden. Zudem könnten benachteiligte Bieter Schadensersatzansprüche geltend machen. Bei geförderten Projekten bestünde darüber hinaus das Risiko eines (teilweisen) Widerrufs oder einer Kürzung der Zuwendung.

Dementsprechend ist öffentlichen Auftraggebern dringend zu empfehlen, die Einordnung der Leistungsart bereits zu Beginn der Beschaffungsplanung zu klären.

  1. Was gilt als Bauauftrag?

Einen einheitlichen, für alle Rechtsbereiche geltenden Begriff der „Bauleistung“ gibt es nicht. Seine Auslegung richtet sich stets nach dem einschlägigen Rechtsgebiet und erfolgt nach den klassischen Auslegungsmethoden. Bestehen gesetzliche Definitionen – wie etwa in § 103 Abs. 3 GWB, der vorrangig gegenüber § 1 VOB/A Abschnitt 2 (Kartellvergaberecht) ist oder im Haushaltsvergaberecht beispielsweise § 1 VOB/A Abschnitt 1 – sind diese unter Beachtung von Sinn und Zweck der Norm maßgeblich.

Bauleistung ist jede Leistung, durch welche eine bauliche Anlage (Bauwerk) errichtet oder geändert wird. Bauwerke sind mit dem Erdboden verbundene oder auf ihm ruhende, aus Bauprodukten hergestellte Anlagen. Dabei muss es sich nicht notwendig um Gebäude handeln. Bauaufträge sind Verträge über die Ausführung oder die gleichzeitige Planung und Ausführung von in Anhang II der Richtlinie 2014/24/EU aufgeführten Bauleistungen oder Bauwerken für den öffentlichen Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber, die Ergebnis von Tief- oder Hochbauarbeiten sind und eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen sollen (vgl. § 103 Abs. 3 GWB).

Beispiele

  • vorbereitende Baustellenarbeiten
  • Abbruch von Gebäuden, Erdbewegungsarbeiten
  • Markierung von Fahrbahnen und Parkplätzen
  • Installation von Beleuchtungs- und Signalanlagen für Straßen
  • Innen- und Außenanstrich von Gebäuden
  • Fassadenreinigung

Kann der Beschaffungsgegenstand den in Anhang II der Richtlinie 2014/24/EU aufgeführten Tätigkeiten zugeordnet werden, kann nach § 103 Abs. 3 GWB von einem Bauauftrag ausgegangen werden. Dies gilt jedoch nur, wenn der Auftragsgegenstand ausschließlich und vollständig diese in Anhang II genannten Tätigkeiten umfasst. Hinweise zum Umgang mit in der Praxis häufig vorkommenden Aufträgen, die mehrere Leistungsbestandteile enthalten, folgen weiter unten.

  1. Was gilt als Lieferauftrag?

Öffentliche Lieferaufträge sind öffentliche Aufträge mit dem Ziel des Kaufs, des Leasings, der Miete, der Pacht oder des Ratenkaufs, mit oder ohne Kaufoption, von Waren. (vgl. § 103 Abs. 2 Satz 1 GWB).

Beispiele

  • Lieferung von Büromaterialien
  • Lieferung von Möbeln, wenn diese lediglich angeliefert, aber nicht aufgebaut oder montiert werden
  • Lieferung von Computern, Tablets oder Druckern, wenn keine Installations- oder Wartungsleistungen dazugehören
  • reine Ersatzteillieferung, die nicht eingebaut wird
  1. Was gilt als Dienstleistungsauftrag?

Dienstleistungen umfassen die Erbringung all solcher Leistungen, die nicht als Bau- oder Lieferleistungen einzuordnen sind (vgl. § 103 Abs. 4 GWB).

Beispiele

  • Reinigungsleistungen
  • Bewachungs- und Sicherheitsdienste
  • IT-Dienstleistungen (Programmierung, Hosting, Support, Cloud-Dienste), sofern keine Lieferung von Hardware im Vordergrund steht
  1. Typengemischte Verträge

Weist ein Vertrag zugleich Elemente unterschiedlicher Leistungsarten auf („typengemischter Vertrag“), bestimmt sich die Rechtsnatur des Vertrags danach, welche Leistungen den Hauptgegenstand (Schwerpunkt, prägenden Charakter) des Vertrags bilden und welche im Verhältnis hierzu lediglich Nebenarbeiten darstellen (vgl. EuGH, C-412/04).

  • Abgrenzung Bau- und Lieferaufträge

Ob ein Vertrag, der Bau- und Lieferleistungen enthält, als Bau- oder Lieferauftrag einzustufen ist, hängt vor allem von der Komplexität, Bedeutung und dem Umfang der notwendigen Montagearbeiten ab. Die Kostenanteile der jeweiligen Leistungen dienen dabei nur als grobe Orientierungshilfe (vgl. OLG Düsseldorf, Verg 49/02).

Faustformel

  • Montage ist umfangreich und komplex → Bauauftrag
  • Lieferung bildet den Schwerpunkt und Montage ist nur geringfügig → Lieferauftrag

KEINE Bauaufträge, sondern Lieferaufträge sind z.B.

  • Lieferung von markttypischen Beleuchtungssystemen, deren Montage durch Dritte erfolgt bzw. die lediglich nur noch aufgestellt werden müssen (OLG München, Verg 19/05)
  • bloße Lieferung von Baumaterialien (VK Nordbayern, RMF –SG21-3194-4-40)
  • umfassende Medienausstattung für Berufsbildungszentrum (BayOLG, Verg 16/22)

 

  • Abgrenzung Bau und Dienstleistungsaufträge

Ob ein Vertrag, der Bau- und Dienstleistungen enthält, als Bau- oder Dienstleistungsauftrag einzustufen ist, hängt vor allem davon ab, wie stark in die Bausubstanz eingegriffen wird.

Faustformel

  • fühlbarer Eingriff in die Bauwerksubstanz             → Bauauftrag
  • kein fühlbarer Eingriff                                                 → Dienstleistungsauftrag

Typisches Abgrenzungsproblem: Instandhaltung

  • Maßnahmen zur Wiederherstellung des Soll-Zustands[1] → Bauauftrag
  • Maßnahmen zur Erhaltung des Soll-Zustands → Dienstleistungsauftrag

KEINE Bauaufträge, sondern Dienstleistungsaufträge sind z.B.

  • Wartung einer Brandmeldeanlage/Auswechslung einzelner Brandmelder (OLG Düsseldorf, VII-Verg 60/09)
  • Leistungen der Kanalreinigung, Kanaluntersuchung und Dokumentation auf Basis der Empfehlungen des „DWA-Regelwerks Merkblatt DWA-M 197“ nach dem ersten Abschnitt (VK Westfalen, VK 2-16/15)
  • Gewässerunterhaltungsarbeiten inkl. Sohlräumung (VK Brandenburg, VK 5/16)
  • Beseitigung von Verschleißerscheinungen bzw. kleineren Schäden

Beispiele für typengemischte Verträge mit Schwerpunkt Bauleistung

  • Lieferung und Montage von zwei Autoklaven und eines Wasserstoffperoxid-Generators für Klinikneubau (OLG Jena, 6 Verg 5/01)
  • Laborsterilisator (OLG Düsseldorf, Verg 53/18)
  • Lieferung und Einbau von Fenstern (LG Kiel, 4 O 304/02; VK Südbayern, 43-10/02)
  • Lieferung und Aufstellen von Photovoltaikanlagen (OLG Düsseldorf, VII-Verg 35/13)
  • Anmietung und Aufstellung von Wohncontainern auf vorgefertigten Fundamenten für Flüchtlinge (BGH, VII ZR 86/90)
  • Lieferung und Montage von Küchengeräten (VK Brandenburg, VK 20/05)
  • Kassen- und Kontrollsystem für Großstadion (VK Baden-Württemberg, 1 VK 68/04)
  • Einbau von Schrankwänden und das Einpassen einer Einbauküche (OLG Thüringen, 6 Verg 5/01)
  • Verputzarbeiten (1. VK Sachsen, 1/SVK/102-01)
  • Bereitstellung von Gerüsten und Gerüstbauarbeiten (VK Baden-Württemberg, 1 VK 27/01)

Hinweis

Die genannten Beispiele beruhen auf Einzelfallentscheidungen. Variationen im Auftragsgegenstand können die rechtliche Bewertung verändern. Zudem ist nicht ausgeschlossen, dass eine andere Vergabekammer oder ein anderes Oberlandesgericht zu einer abweichenden Beurteilung gelangt. Die Abgrenzung muss daher immer anhand des konkreten Einzelfalls erfolgen.

Fazit

Für öffentliche Auftraggeber ist die zutreffende Einordnung von Bau-, Liefer- oder Dienstleistungsaufträgen kein formaler Zwischenschritt, sondern eine entscheidende Grundlage, um Risiken, wie Verfahrensfehler, Nachprüfungsverfahren oder Zuwendungsrückforderungen, zu vermeiden. Wer die Leistungsart von Beginn an korrekt bestimmt, schafft Rechtssicherheit und verhindert teure Verzögerungen.

Linda Winkler, Rechtsanwältin, Böke Rechtsanwälte, Düsseldorf

[1] Der zum bestimmungsgemäßen Gebrauch geeignete Zustand.

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online | Mo. 08.09.2025 | 10:00

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