Bürokratieabbau – Ein Plädoyer für ein Bundesvergabegesetz
Vereinheitlichung, Vereinfachung, Beschleunigung – der Ruf nach Bürokratieabbau im öffentlichen Vergabewesen war in der Vergangenheit schon immer in aller Munde, insbesondere bei Beschaffungsstellen und Bietern. Gerne wird der Bürokratieabbau auch zum Stimmenfang im politischen Wahlkampf verwendet.
Doch ist die Bürokratie, vor allem im öffentlichen Vergabewesen, irgendwann einmal tatsächlich merklich abgebaut worden? Ist dies vor dem Hintergrund der Vielzahl der vergaberechtlichen Regelungen überhaupt möglich und, wenn ja, wie wäre ein solcher Abbau zu bewerkstelligen?
Bürokratieabbau in der Vergangenheit und Gegenwart
Schon in der Vergangenheit sind Bürokratieabsichten in einer Vielzahl kundgetan worden.
So wurde schon Ex-Kanzler Scholz zu seinen Zeiten als Finanzminister im Jahre 2019 von der „Zeit ONLINE“ zitiert, „er sei überzeugt davon, dass viele Prozesse in Deutschland zu langsam geworden seien – durch unsere Freude an der Regulierung und an zu komplizierten Entscheidungsprozessen. Es könne nicht sein, dass Investieren so kompliziert geworden sei.“
Jüngst hat der niedersächsische Landtagsabgeordnete Frank Henning eine Rede zum Bürokratieabbau in Niedersachsen gehalten, um mit einem Entschließungsantrag zum Bürokratieabbau der Landesregierung auf dem Weg, „alles einfacher, schneller und günstiger zu machen“.
Aktuell mündet das jüngste Vorhaben zum Bürokratieabbau im Vergabebeschleunigungsgesetz, das das Ziel hat, öffentliche Beschaffungen „einfacher, schneller und flexibler“ zu machen.
In NRW soll zum 01.01.2026 eine „Abschaffung der kommunalen Vergabegrundsätze“ in Kraft treten.
In anderen Bundesländern werden zumindest Wertgrenzen für Direktvergabe und flexiblere Verfahrensarten festgelegt.
Das sind nur vereinzelte von vielen Beispielen, wie (zumindest) Absichten zum Bürokratieabbau durch vermeintliche Vereinheitlichung und Vereinfachung zwecks gleichzeitiger Beschleunigung proklamiert werden.
Beurteilung der bisherigen Bemühungen
Entbürokratisierungsvorhaben waren bisher meist nur ein Tropfen auf einem heißen Stein – und das gilt auch heute vor dem Hintergrund des Vergabebeschleunigungsgesetzes noch. Die Verantwortlichen bzw. Normgeber haben es grundsätzlich verpasst, wirkungsvolle Maßnahmen zu treffen, die Vergabestellen und Bieter im Rahmen von öffentlichen Vergabeverfahren spürbar entlasten. Oftmals ist im Sinne eines Stückwerks an einzelnen haushalts- bzw. vergaberechtliche Vorschriften gewerkelt worden, ohne dabei aber spürbar wirksame Vereinheitlichungen, Vereinfachungen und Beschleunigungen zu erreichen. Aus dem bisherigen Gesetzgebungsverfahren ist jedoch bereits erkennbar, dass Vereinheitlichungen grundsätzlich nicht vorgesehen sind und Vereinfachungen sowie Bürokratieabbau eher marginalen Charakter haben werden, u.a. auch zu Ungunsten des effektiven Rechtsschutzes.
An dieser Beurteilung ändert auch die in NRW zum 01.01.2026 geplante „Abschaffung der kommunalen Vergabegrundsätze“, wenn überhaupt, allenfalls punktuell etwas. Denn der bestehende Flickenteppich zwischen Bund und Bundesländern sowie zwischen den Bundesländern und Kommunen untereinander bleibt bestehen bzw. wird sogar ausgeweitet. Von einer bundesweiten Vereinheitlichung entfernt man sich auf diese Weise noch weiter. Denn die in NRW gewählte Lösung ist derzeit wohl bundesweit einzigartig und stellt lediglich eine weitere neue Alternative zu einer Regelungsgestaltung dar; zumal die Kommunen mangels einheitlicher Vorgaben begonnen haben, Satzungen zwecks Vergaberegelungen zu treffen, da die eigenen bisherigen kommunalen Regelungen mit § 75a GO NRW nicht mehr gelten. Letzteres wird dazu führen, dass im schlimmsten Fall sämtliche Kommunen in NRW nicht über identische oder einheitliche Vergabevorgaben verfügen, woran auch eine von den kommunalen Spitzenverbänden „angebotene“ Mustersatzung vermutlich nichts Wesentliches ändern wird, die jede Kommune im Falle der Nutzung im Zweifel entsprechend ihrer eigenen Gegebenheiten anpassen wird.
Problemstellung
Unabhängig von den teilweise leeren Versprechungen und proklamierten Absichten des Bürokratieabbaus gesellt sich die Tatsache dazu, dass in Deutschland bundesweit ein riesiger Flickenteppich an haushalts- und vergaberechtlichen Vorschriften besteht.
Insbesondere im Unterschwellenbereich, im dem sich der wesentliche Teil der öffentlichen Auftragsvergaben abspielt, sind die Vergaberegelungen nach der so genannten Haushaltslösung gestaltet. Der Ursprung der Vergabepflichten findet sich grundsätzlich in den Haushaltsordnungen. Hier beginnt bereits die Rechtszersplitterung. Neben dem Bund haben zusätzlich die 16 Bundesländer jeweils ein eigenes Landeshaushaltsrecht. In jedem einzelnen der 16 Bundesländer können die bundesweit fast 11.000 Kommunen aufgrund ihrer grundrechtlich gesicherten Selbstverwaltungsgarantie ebenfalls eigene haushalts- und vergaberechtliche Regelungen treffen. Daneben werden zusätzliche landesspezifische Vergabe- und Tariftreuegesetze sowie spezielle weitere Richtlinien für bestimmte Beschaffungsbereiche erlassen. Es bestehen folglich unterschiedlichste Norm- bzw. Richtlinienkompetenzen, die es nahezu unmöglich machen, ein einheitliches Vergabewesen zu initiieren, geschweige denn, umzusetzen.
Im Oberschwellenbereich gilt zwar das „europäische“ Vergaberecht, das in Form mehrerer Bundesgesetze und -verordnungen umgesetzt wird. Jedoch wird auch hier kein einheitlicher Weg bestritten, da vor nicht allzu langer Zeit für freiberufliche Leistungen, Liefer- und Dienstleistungen und Bauleistungen jeweils eigene Vergabeordnungen galten. Zwar ist keine VOF mehr existent, neben der VgV existiert dennoch weiterhin die VOB/A EU.
Im Rahmen der mit öffentlichen Mitteln durch Zuwendungsgeber geförderten Auftragsvergaben wird zudem ein fördermittelgeberspezifisches Zuwendungsvergaberecht geschaffen, das zusätzlich parallel neben dem allgemeinen Vergaberecht steht, das ebenfalls einzuhalten ist.
Ziel
Die Vergabestellen und Bieter brauchen aber Entlastung von Verwaltungsaufwand sowie Bürokratie durch Einheitlichkeit. Kaum ein Bereich zeigt den Reformstau so deutlich wie das öffentliche Vergabewesen. Wer heute für Bund, Länder oder Kommunen beschafft, kämpft sich durch einen Dschungel aus Verfahrensregeln, Schwellenwerten, Ausnahmen und landes- und kommunalspezifischen Sonderwegen. Das kostet Zeit, Geld, und Start-ups und innovationsfreudige Unternehmen bleiben oft außen vor.
Weniger Bürokratie bedeutet: schnellere Investitionen, mehr Raum für Wettbewerb und Qualität. Gerade in Zeiten großer Zukunftsaufgaben – Infrastruktur, Digitalisierung, Energiewende – darf der Staat sich nicht länger selbst im Weg stehen. Der Abbau bürokratischer Hürden ist kein Selbstzweck. Er ist Voraussetzung dafür, dass öffentliche Mittel effizient eingesetzt werden, die Wirtschaft wächst und Innovation und Digitalisierung dort ankommen, wo sie gebraucht werden.
Einheitliche Normgebung
Bürokratieabbau, der zur Vereinfachung und infolgedessen zur Beschleunigung von Vergabeverfahren führen soll, braucht im deutschen Vergabewesen zumindest nicht nur eine „Werkelei“ an einzelnen Vorschriften. Als ersten Schritt bedarf es einer Abkehr von der bisherigen fragmentierenden Regelungskultur in Richtung Vereinheitlichung. Der sowohl für Vergabestellen als auch Bieter unüberschaubare Flickenteppich und Vorschriften-Dschungel müssen in Richtung einheitlicher haushalts- und vergaberechtlicher Grundlage „entschlackt“ werden. Hierfür wird der Weg aufgrund der gegebenen Regelungskompetenzen nur über eine Änderung dieser Zuständigkeits- und Kompetenzregelungen und/oder über harmonisierende Regelungen gehen. Bei Rechtsstreitigkeiten rund um die Einhaltung der Vergaberegelungen würde dies zu einer einheitlicheren Rechtsprechung führen.
Ein einheitliches Bundesvergabegesetz könnte hier den entscheidenden Durchbruch bringen und sämtliche bundesweit relevanten Vergaberegelungen implementieren: klare Regeln, einheitliche Verfahren, digitale Standards und echte Planbarkeit für Auftraggeber wie Auftragnehmer. Neben einem für alle Vergabeverfahren geltenden allgemeinen Teil könnten bspw. spezielle Regelungen für Liefer-, Dienst-, freiberufliche und Bauleistungen einerseits und die verschiedenen Bereiche der Sektorentätigkeiten, der Konzessionen sowie der Verteidigung- und Sicherheit andererseits in besonderen Teilen sowohl für den Oberschwellen- als auch den Unterschwellenbereich geregelt werden.
Österreich hat die Vereinheitlichung mit seinem Bundesvergabegesetz vorgemacht. Auch die Schweiz hat mit ihrem Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen auf Bundesebene den Weg in diese Richtung stark eingeschlagen. Die Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen harmonisiert etwaige eigene Regelwerke der Kantone, die einen Flickenteppich verhindern. Auch viele andere Staaten wie Frankreich, Italien, Portugal, Ungarn, Tschechien, Polen haben einheitliche nationale Vergabegesetze. Großbritannien hat nach dem Brexit den einheitlichen Procurement Act.
Fazit
Festzuhalten ist im Ergebnis, dass keine effiziente Vereinheitlichung, keine Vereinfachung und keine Entbürokratisierung in den letzten Jahren erfolgt sind, was unter anderem an dem bestehenden rechtszersplitternden deutschen Flickenteppich im öffentlichen Auftragswesen liegt. Vor dem Hintergrund der bisherigen deutschen (Über-)Regulierungskultur wird dieses Problem nur durch ein die Rechtsmaterie vereinheitlichendes Bundesvergabegesetz gelöst werden können, das nicht nur klare Regelungen mit sich bringt, sondern den an öffentlichen Vergabeverfahren Beteiligten Übersichtlichkeit, Planbarkeit und Zuverlässigkeit mit einheitlich einzuhaltenden Vorgaben gibt. Zudem bestünde die Möglichkeit für Fördermittelgeber, ihr Zuwendungsvergaberecht durch Verweise oder Bezugnahmen auf dieses Bundesvergabegesetz ebenso einheitlich zu gestalten und (private) Zuwendungsempfänger vom Verwaltungsaufwand zu entlasten sowie Förderverfahren im Interesse einer wirtschaftlichen Durchführung zu beschleunigen.
RA Michael Pilarski, Kanzlei Pilarski, Nienburg (Weser)
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