Direktvergabe aufgrund eines Alleinstellungsmerkmals
Kann es wirklich nur einer? – Auftraggeber müssen dies belegen können
Grundsätzlich ist der Auftraggeber frei darin, seinen Beschaffungswunsch zu bestimmen. Steht ein bestimmtes Produkt selbst im Mittelpunkt der Beschaffung, welches nach Kenntnis des Auftraggebers nur von einem Unternehmen angeboten wird, kommt die Ausnahme des § 14 Abs. 4 VgV (Alleinstellungsmerkmal) in Betracht. Danach kann der Auftraggeber den Auftrag im Wege eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb direkt an ein Unternehmen vergeben, das über ein Allleinstellungsmerkmal für das benötigte Produkt oder die benötigte Leistung verfügt.
Meist wenig beachtet, aber in diesem Zusammenhang ergänzend zu beachten ist § 14 Abs. 6 VgV. Der öffentliche Auftraggeber hat demnach vor Vergabe eines Auftrags an ein Unternehmen, von dessen Alleinanbieterstellung i.S.v. § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV er ausgeht, zu prüfen, ob es nicht ein anderes Unternehmen gibt, das eine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung anbieten könnte. Aus § 14 VgV ergibt sich, dass die Anbieter auf dem betreffenden Markt darauf hinzuweisen sind, dass ein entsprechender Beschaffungswunsch besteht.
- Voraussetzungen einer Direktvergabe aufgrund eines Alleinstellungsmerkmals
Das OLG Hamburg (Beschluss vom 6.4.2023 – 1 Verg 1/23) klärt auf, was neben dem Alleinstellungmerkmal zwingende Voraussetzung für die Reduzierung des Anbieterkreises auf nur ein Unternehmen ist:
„Zu den Voraussetzungen des § 14 Abs. 6 VgV gehört schon nach dem Wortlaut dieser Bestimmung, dass überhaupt kein anderer Anbieter als der, an den der öffentliche Auftraggeber den Auftrag zu vergeben beabsichtigt, in der Lage ist, eine Leistung anzubieten, die eine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung bildet. Ob es einen solchen Anbieter gibt, lässt sich mit den Mitteln des ‚normalen‘ Beweises in einem Vergabeverfahren nicht aufklären, da es dazu erforderlich ist, den gesamten einschlägigen Markt auf das Vorhandensein etwaiger entsprechender Angebote zu sichten und zu analysieren.
Deshalb kommt an dieser Stelle – anders als im Rahmen von § 14 Abs. 4 VgV – der Notwendigkeit eines vorherigen Markterkundungsverfahrens essentielle Bedeutung zu; denn wie ein öffentlicher Auftraggeber im Bestreitensfall das Nichtvorhandensein vernünftiger Alternativen oder Ersatzlösungen ohne eine Erforschung des dazu relevanten Marktes zuverlässig einschätzen, darlegen und notfalls sollte beweisen können, ist nicht ersichtlich.“
- Inhaltliche Anforderung an die Markterkundung
In dem vom OLG Hamburg entschiedenen Fall hatte der Auftraggeber eine Markterkundung zur Beschaffung eines Vergabemanagementsystems durchgeführt. Inhalt der Markterkundung war ein Fragebogen, den die Teilnehmer ausfüllen sollten sowie eine Produktvorstellung. Der Fragebogen enthielt u.a. auch Fragen zu den möglichen Schnittstellen und ihrer Ausgestaltung. Dabei wurde weder abgefragt, ob die an der Markterkundung teilnehmenden Unternehmen über die benötigte zertifizierte Schnittstelle verfügen noch wurde in der Markterkundung thematisiert, dass eine solche aus Sicht der Auftraggeber benötigt werde.
Der Auftraggeber behauptet, dass die Markterkundung ergeben habe, dass nur die bisherige Vertragspartnerin (20-jährige Vertragsbeziehung) über die notwendige Schnittstelle bereits verfüge (Standardschnittstelle) und daher ein technisches Alleinstellungsmerkmal besitze. Darauf stützte sie sich bei einer entsprechenden Ex-ante-Bekanntmachung zur Rechtfertigung einer Direktvergabe gem. § 14 Abs. 4 und 6 VgV. Dies rügte ein Unternehmen, welches an der Markterkundung teilgenommen hatte und teilte mit, dass es ebenfalls die benötigte Schnittstelle herstellen könne und dies in derselben Zeit, welche für die Anpassung einer schon bestehenden Standardschnittstelle auf das individuelle System des Auftraggebers benötigt werde. Sie könne daher eine vernünftige Alternativlösung anbieten, weswegen gem. § 14 Abs. 6 VgV keine Direktvergabe zulässig wäre. Nachdem der Auftraggeber die Rüge zurückgewiesen hatte, stellte das Unternehmen einen Antrag auf Nachprüfung und bekam Recht.
Das OLG Hamburg begründete damit, dass der Auftraggeber sich im vorliegenden Fall nicht mit Erfolg auf die Erfüllung der Darlegungs- und Beweislast durch die Durchführung der Markterkundung berufen könne, da darin die letztlich gewählte Beschaffungslösung nicht erörtert wurde. Auch war das letztlich beauftragte Unternehmen gar nicht Teilnehmer der Markterkundung, sodass die Beschaffungslösung auch nicht innerhalb der Markterkundung an den Auftraggeber herangetragen worden war. Das Gericht sieht bezüglich der in Erwägung gezogenen Beschaffungslösungen im Rahmen einer Markterkundung eine Unterrichtungspflicht gegenüber dem Markt und formuliert wie folgt:
„Aus dem Erfordernis des § 14 Abs. 6 VgV, dass ein öffentlicher Auftraggeber vor Vergabe eines Auftrags an ein Unternehmen, von dessen Alleinanbieterstellung im Sinne von § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV er ausgeht, zu prüfen hat, ob es nicht ein anderes Unternehmen gibt, das eine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung anbieten könnte, ergibt sich, dass die Anbieter auf dem betreffenden Markt darauf hinzuweisen sind, dass ein entsprechender Beschaffungswunsch besteht.“
- Wann muss das Alleinstellungsmerkmal vorliegen?
Das Gericht geht ergänzend darauf ein, auf welchen Zeitpunkt für das Vorliegen des Alleinstellungsmerkmals der Auftraggeber abzustellen habe. Danach sei eine Bewertung, die darauf abstelle, ob das Alleinstellungsmerkmal zum Zeitpunkt des Zuschlags vorläge zu eng, wenn z.B. bei IT-Leistungen nach Zuschlag erst noch eine Anpassung einer Schnittstelle auf das individuelle System des Auftraggebers herstellen müsse. Das OLG Hamburg erläutert dazu:
„Für die Beantwortung der Frage, ob ein Anbieter zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten zur Leistung in der Lage ist, kann es aber jedenfalls nicht darauf ankommen, ob die Leistung sofort, also gleichsam auf der Stelle erbracht werden kann. Dem steht schon der Wortlaut von § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV entgegen; denn ‚erbringen‘ bedeutet nicht ‚auf der Stelle verwirklichen‘, sondern etwas ‚herbeischaffen‘, und das zur aktuellen Erfüllung eines Auftrags erforderliche Material herbeischaffen, kann auch ein Unternehmen, das sich das Material innerhalb angemessen kurzer Zeit besorgen kann. Von einem engeren Verständnis des Merkmals der Leistungsfähigkeit im Zeitpunkt der Anbahnung des Vertrages auszugehen, besteht kein Anlass, denn ein solches liegt nicht einmal dem besonderen Fall der Dringlichkeitsvergabe in § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV (deren Voraussetzungen die Vergabekammer hinsichtlich des Beschaffungswunsches der Antragsgegnerin mit zutreffenden Gründen verneint hat) zugrunde.“
- Praxishinweis
Eine Markterkundung ist vor einer Direktvergabe notwendig, um als Vergabestelle ausreichend darlegen zu können, dass eine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung am Markt nicht vorhanden ist. Dabei ist darauf zu achten, dass die Markterkundung tatsächlich (auch) die letztliche gewählte Beschaffungslösung thematisiert. Denn nur dann kann der Markt eine fundierte Rückmeldung zu der Frage geben, ob diese Beschaffungslösung alternativlos bei nur einem Anbieter verfügbar ist.
Interessant sind die Ausführungen des OLG Hamburg dazu, wann das Alleinstellungsmerkmal vorliegen muss, um eine Direktvergabe zu rechtfertigen. Dafür wird regelmäßig in der Praxis auf den Zuschlagszeitpunkt abgestellt. Im Rahmen von innovativen Technologien oder dynamisch sich entwickelnden Märkten, kann es sicherlich dazu kommen, dass Wettbewerber eine Alternative oder Ersatzlösung anbieten könnten. Das betriff vor allem IT- und Digitalisierungslösungen, ist aber auch für andere Beschaffungsgegenstände, z.B. technische Anlagen, denkbar.
Wenn diese in einem vergleichbaren Zeitrahmen einsetzbar wäre, wie eine schon vorhandene Lösung, die evtl. auf die Bedürfnisse des Auftraggebers angepasst werden muss, bedarf es wohl eines wettbewerblichen Verfahrens. Mindestens sollte im Vergabevermerk eine Erläuterung enthalten sein, warum eine Alternative am Markt ggf. nicht als „vernünftige Alternative oder Ersatzlösung“ i.S.d. Ausnahmeregelung anzusehen ist, bevor eine Direktvergabe in Erwägung gezogen wird.
Hinweis: Die Erläuterungen lassen sich auch auf Vergaben von Sektorenauftraggebern übertragen, da mit § 13 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 3 SektVO eine entsprechende Regelung in der SektVO existiert.
von Grit Hömke, Rechtsanwältin/Legal Counsel bei der TenneT TSO GmbH
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