Nachhaltige öffentliche Beschaffung – Eine Gemeinschaftsaufgabe von Vergabestelle und Fachbereich
Nachhaltige öffentliche Beschaffung muss zunehmend an Bedeutung gewinnen. Sie ist nicht nur ein Instrument zur Verfolgung ökologischer und sozialer Ziele, sondern auch ein wichtiger Aspekt der strategischen Ausrichtung von öffentlichen Auftraggebern. Neben dem Schutz der Umwelt und des Klimas und der Förderung sozialer Gerechtigkeit bietet eine nachhaltige Beschaffung auch wirtschaftliche Vorteile; mittelbar durch Vermeidung z.B. von Klimafolgekosten, die uns insgesamt als Gesellschaft treffen, aber auch unmittelbar als langfristige Kosteneinsparung durch die Beschaffung qualitativ hochwertiger und langlebiger Produkte mit geringen Folgekosten. Ein wichtiger Erfolgsfaktor zur Umsetzung einer nachhaltigen Beschaffungsstrategie ist eine gute Zusammenarbeit zwischen Vergabestelle und Fachbereich.
Unterschiedliche Rollen der Beteiligten im Beschaffungsprozess
Aufgabe des Fachbereichs ist in erster Linie die Bedarfsermittlung und Beschreibung des konkreten Bedarfs. Aufgrund der fachlichen Expertise können dabei sowohl in der Bedarfsanalyse als auch bei der Leistungsbeschreibung wichtige Weichenstellungen für eine nachhaltige Beschaffung gesetzt werden. Denn der Fachbereich weiß am besten, was Nachhaltigkeit für den konkreten Auftragsgegenstand bedeutet und wie der relevante Bietermarkt beim Thema Nachhaltigkeit aufgestellt ist. Auch bei der Prüfung und Bewertung von Teilnahmeanträgen und Angeboten sind die speziellen Kenntnisse des Fachbereichs unerlässlich, um Nachhaltigkeitsaspekte im Rahmen dessen berücksichtigen zu können.
Aufgabe der Vergabestelle ist es, die vergaberechtlichen Grenzen, aber noch wichtiger, auch die vergaberechtlichen Möglichkeiten aufzuzeigen. Das heißt, die Vergabestelle muss im Rahmen einer nachhaltigen Beschaffung einerseits die Rechtskonformität im Beschaffungsprozess sicherstellen, z.B. dafür sorgen, dass keine Aspekte berücksichtigt werden, die nicht mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen oder unangemessen sind, und dass Anforderungen und die Bewertung transparent beschrieben werden. Andererseits liegt es in der Verantwortung der Vergabestelle, den Fachbereich bei der Definition und Formulierung von Nachhaltigkeitsaspekten und Gestaltung des Vergabeverfahrens zu beraten und zu unterstützen, Erfahrungen aus anderen Vergaben einzubringen und auch zu neuen Wegen anzuregen.
Herausforderungen und Lösungen bei der Zusammenarbeit für eine nachhaltige öffentliche Beschaffung
In den Fachbereichen, die oftmals hohe Ambitionen haben, Nachhaltigkeitsaspekte im Vergabeverfahren einzusetzen, fehlt teils das vergaberechtliche Know-how, um dies rechtssicher umsetzen zu können.
Den Vergabestellen wiederum fehlen die erforderlichen fachlichen Kenntnisse und das Wissen über die relevanten Bietermärkte, um sachgerechte und auftragsbezogene Nachhaltigkeitsanforderungen aufstellen zu können.
Dieses Problem hat auch der Bundesrechnungshof 2022 in seinem Bericht über die Prüfung der Nachhaltigen Vergaben in der Bundesverwaltung (Bundesrechnungshof, Bericht nach § 88 Abs. 2 BHO an die Bundesregierung über die Prüfung der Nachhaltigen Vergaben in der Bundesverwaltung, 2022, Gz.: V 5 – 2020 – 0005, S. 4) angesprochen:
„Der Bundesrechnungshof empfiehlt deshalb, die Beschaffungsstellen darauf hinzuweisen, dass nachhaltige Beschaffung das gemeinsame Ziel der jeweils zuständigen Beschaffungsstelle sowie der beteiligten Bedarfsträger ist. Die Behörden und Einrichtungen müssen nicht nur prüfen, ob Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt werden können, sondern auch, ob zusätzlichen Kriterien, die über die zwingend vorgeschriebenen oder von den Bedarfsträgern benannten Kriterien hinausgehen, einbezogen werden können.“
Bei der Implementierung einer nachhaltigen Beschaffung in konkreten Vergabeverfahren, die gegebenenfalls eine zusätzliche Komplexität in den Prozess trägt, können sich Herausforderungen, die in jeder Beschaffung bestehen, besonders zeigen.
Ein „Klassiker“ in nahezu jedem Beschaffungsprozess dürfte das Thema Zeitdruck sein. Erfahrungsgemäß kommen Fachbereich und Vergabestelle häufig erst zu einem recht späten Zeitpunkt in der Vergabevorbereitung zusammen. Dann ist es oft schon zu spät, um gemeinsam und mit der gerade für die ersten Verfahren notwendigen Zeit Nachhaltigkeitsanforderungen und -kriterien zu entwickeln, weil der Bedarf zu einem bestimmten Zeitpunkt gedeckt sein muss. Stattdessen sollten Fachbereich und Vergabestelle (auch) zur Abstimmung von Nachhaltigkeitsaspekten frühzeitig in den Dialog gehen, idealerweise schon bevor abschließend der Bedarf definiert und die Leistung beschrieben ist.
Hierbei sollten die Beschaffungsziele einschließlich der Nachhaltigkeitsziele definiert und priorisiert werden. Dafür kann es helfen, das Thema Nachhaltigkeit standardmäßig in den vorhandenen Beschaffungsprozess zu implementieren, z.B. indem das Thema bereits in der Bedarfsanmeldung durch die Vergabestelle abgefragt und in einer etwaigen Auftaktbesprechung zwischen Fachbereich und Vergabestelle als fester Agendapunkt etabliert wird. Wichtig ist dabei, bei aller Relevanz, die das Thema Nachhaltigkeit hat und haben muss, ein ehrlicher und realistischer Austausch. Insbesondere sollte von Anfang an pragmatisch und vorausschauend geprüft werden, welche Auswirkungen die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten im Verfahrensablauf auch zeitlich haben kann. Hierbei hilft, schon frühzeitig den Vergabeterminplan gemeinsam abzustimmen. Anhand dessen können die Verfahrensschritte einschließlich der Besonderheiten für die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten transparent diskutiert und festgelegt werden.
Auch insofern gilt, dass sich das Investieren von Zeit für die Vergabekonzeption und verfahrensvorbereitende Maßnahmen am Ende rentiert. Beispielsweise kann eine gut vorbereitete Markterkundung dazu dienen, eine breite Kenntnis darüber zu gewinnen, wo der relevante Bietermarkt beim Thema Nachhaltigkeit steht, um das Vergabeverfahren entsprechend darauf zuschneiden zu können.
Wenn es um die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in der Beschaffung geht, spielt immer auch eine Rolle, welcher Aufwand damit für alle Beteiligten auf Auftraggeber-, aber auch auf Bieterseite verbunden ist. Im Sinne einer Wesentlichkeitsanalyse sollte für das konkrete Beschaffungsvorhaben geprüft werden, welcher Aufwand für die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten entstehen kann, welche positiven Auswirkungen im Gegenzug zu erwarten sind und ob Aufwand und Nutzen im richtigen Verhältnis stehen bzw. wie dies erreicht wird. Das Thema Nachhaltigkeit sollte in jedem Beschaffungsprozess mitgedacht werden, aber nicht immer eignet sich eine spezielle Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten. Es geht darum, die begrenzten Kapazitäten an der richtigen Stelle zu investieren, anstelle einer Berücksichtigung nach dem „Gießkannenprinzip“. Auch nützen ambitionierte Nachhaltigkeitsanforderungen nichts, wenn Bieter aufgrund des entstehenden Aufwands für die Angebotserstellung von einer Verfahrensteilnahme Abstand nehmen.
Hilfreich kann ein Mix aus einem entwickelten und vorab vergaberechtlich geprüften Standardkatalog an Nachhaltigkeitskriterien für bestimmte Leistungen, den die Vergabestelle dem Fachbereich vorstellen kann, und aus verfahrensindividuell gemeinsam entwickelten Aspekten sein. Ein möglicher Ansatz ist auch, eine Einheit aus Fachexpert:innen für nachhaltige Beschaffung im Sinne einer „Task Force“ zu etablieren, die die Projektteams aus Fachbereich und Vergabestelle bei Bedarf punktuell berät und unterstützt. Der Vorteil liegt darin, dass das Fachwissen und die Erfahrung bei wenigen Personen gebündelt wird und nicht in der Breite aufgebaut werden muss. Diesen Weg sind beispielsweise die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) gegangen.
Eine weitere Herausforderung bei der Implementierung einer nachhaltigen öffentlichen Beschaffung kann auch ein fehlendes Verständnis zwischen Fachbereich und Vergabestelle für die jeweiligen Verantwortlichkeiten und Interessen sein. Zwischen „wünsch dir was“ und „das geht vergaberechtlich nicht“ kann Vieles liegen. Auch hier ist ein (ergebnis-)offener und frühzeitiger Austausch wichtig. Auch gemeinsame Schulungen zum Thema nachhaltige Beschaffung können das gegenseitige Verständnis verstärken.
Wenn es Vergabestelle und Fachbereich gelingt, die Herausforderungen zusammen zu bewältigen, wird sich zeigen, dass dies nicht nur das Thema nachhaltige Beschaffung vorantreiben, sondern auch andere positive Nebeneffekte haben kann. Denn eine gemeinsame Definition und Priorisierung von Beschaffungszielen, Investieren in eine gute Vergabekonzeption, eine frühzeitige und realistische Vergabeterminplanung und ein kontinuierlicher und wertschätzender Austausch sind für jedes Beschaffungsvorhaben gewinnbringend.
Julia Gielen
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Vergaberecht
Öffentlicher Sektor, KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Datum: