Produktspezifische Ausschreibung – ein Verbot mit Ausnahmen
Auf der einen Seite darf der öffentliche Auftraggeber grundsätzlich selbst bestimmen, was er beschaffen möchte. Schließlich regelt das Vergaberecht nicht was, sondern nur wie zu beschaffen ist. Auf der anderen Seite ist ein möglichst breiter Wettbewerb sicherzustellen. Und dazu gehört auch, dass der Auftraggeber dem Gebot der Produktneutralität unterliegt. Aber bedeutet dies, dass Auftraggeber unter keinen Umständen „produktscharf“ ausschreiben dürfen?
Nein! Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen doch einmal bestimmte Produkte vorgegeben werden dürfen und wie der Auftraggeber dabei vorzugehen hat, hat die VK Mecklenburg-Vorpommern (Beschluss vom 09.02.2022, 3 VK 15/22) ausgeführt.
Voraussetzungen der produktspezifischen Ausschreibung
Kumulativ müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
- Die produktscharfe Bestimmung muss durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt sein.
- Dafür müssen vom Auftraggeber nachvollziehbare, objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben werden, die Bestimmung muss also willkürfrei getroffen worden sein.
- Die genannten Gründe müssen tatsächlich vorhanden sein und
- die produktscharfe Bestimmung darf andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminieren.
An das Vorliegen solcher Gründe sind keine überhöhten Anforderungen zu stellen, und dem Auftraggeber steht bei der Entscheidung, ob eine bestimmte Produktabfrage gerechtfertigt ist, ein Beurteilungsspielraum zu. Er muss das ihm insoweit eingeräumte Ermessen aber auch tatsächlich ausüben. Für die Vergabekammer bedeutet dies, dass sich der Auftraggeber einen Marktüberblick verschaffen (bspw. im Rahmen einer Markterkundung) und nachvollziehbar, objektiv und auftragsbezogen begründen muss, weshalb keine andere als die gewählte Lösung in Betracht kommt. Diese Gründe müssen objektiv auch vorliegen und nicht erst durch die Planung des Auftraggebers geschaffen worden sein, indem er die Planung auf ein bestimmtes Produkt ausrichtet. Verfügt der Auftraggeber selbst nicht über die erforderliche Fachkunde, muss er sich fachlich beraten lassen.
Dokumentation der Ausnahme zum Gebot produktneutraler Ausschreibung
An die Begründung und deren Dokumentation werden hohe Anforderungen gestellt:
Aus der Dokumentation müssen sich das Vorhandensein sachlicher Gründe und die daran anknüpfende Entscheidung des Auftraggebers für einen unbefangenen Dritten nachvollziehbar erschließen. Die diesbezügliche Darlegungs- und Beweislast trifft den Auftraggeber.
Diesen Anforderungen war der Auftraggeber im zu entscheidenden Fall mit 8,5 Seiten Begründung im Vergabevermerk nachgekommen.
Fazit
Nicht in jedem Fall muss also produktneutral ausgeschrieben werden. Wenn es tatsächlich im vorstehenden Sinne „gute Gründe“ für die Wahl eines bestimmten Produkts gibt, sollte vor einer produktscharfen Ausschreibung auch nicht zurückgeschreckt werden. Denn: Häufig bekommt der Auftraggeber dann auch nur auf diese Weise die für ihn notwendige Leistung. Wie so oft gilt aber: bei Ausnahmen ist ein ganz besonderes Augenmerk auf die Dokumentation zu legen!
von Prof. Dr. Christian-David Wagner, Fachanwalt für Vergaberecht
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