Ungewöhnlich niedrige Angebote: Wann ist eine Preisaufklärung durch den Bieter entbehrlich?
Erscheinen der Preis oder die Kosten eines Angebots im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig, verlangt der öffentliche Auftraggeber vom Bieter Aufklärung (§ 60 Abs. 1 VgV).
Aber ist dies als Grundsatz in jedem Fall zu beachten oder gibt es Ausnahmen, in denen von einer Preisaufklärung (beim Bieter) abgesehen werden kann?
Preisaufklärung beim Bieter notwendig?
Grundsätzlich hat der öffentliche Auftraggeber mittels der in § 60 Abs. 2 VgV vorgeschriebenen Aufklärung dem betreffenden Bieter die Möglichkeit zu geben, den Eindruck eines ungewöhnlich niedrigen Angebots zu entkräften oder beachtliche Gründe aufzuzeigen, dass sein Angebot trotzdem annahmefähig ist.
Das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 26.10.2022 – VII-Verg 18/22) sieht in diesem Gebot jedoch keinen Selbstzweck. Sofern der öffentliche Auftraggeber aufgrund anderweitiger gesicherter Erkenntnisse zu der beanstandungsfreien Feststellung gelangt, das Angebot eines Bieters sei tatsächlich nicht ungewöhnlich oder unangemessen niedrig, darf er auf eine Aufklärung durch den betroffenen Bieter verzichten. Eine Aufklärung nach § 60 Abs. 1 Satz 2 VgV muss nicht lediglich aus formalen Gründen erfolgen. Schließlich unterliegen Vergabeverfahren insgesamt dem Beschleunigungsgebot und Auftraggeber haben nur begrenzt personelle und finanzielle Ressourcen.
Ergibt sich beispielsweise aus der eingeholten fachtechnischen Bewertung, dass ein Angebotspreis tatsächlich auskömmlich ist, kann auf weitere Aufklärung beim Bieter verzichtet werden.
Preisaufklärung notwendig?
Noch weiter scheint die VK Berlin (Beschluss vom 13.4.2022 – VK B 1 – 30/21) gehen zu wollen:
Bei der Beschaffung von Software-Lizenzen für Standard-Software bezweifelt die Kammer die Notwendigkeit der Anwendung der Grundsätze für die Prüfung, Feststellung und den Ausschluss von Unterkostenangeboten schlechthin.
Diese Zweifel ergeben sich daraus, dass Software-Lizenzen gewöhnlich keinen, einem einzelnen Auftrag zurechenbaren Erfüllungsaufwand verursachen. Entsprechend gibt es dann auch im Falle eines konkreten Auftrags keine Anreize zu einer Schlechterfüllung dieses Auftrags wegen einer fehlenden Kostendeckung. Zudem ist die Leistung bereits mit der Zurverfügungstellung der Lizenz erbracht und kann damit nicht aus Kostengründen von der vereinbarten Beschaffenheit abweichen.
Fazit
Im vom OLG Düsseldorf zu entscheidendem Fall konnte (ohne Zutun des Bieters) bereits der „Anschein“ eines ungewöhnlich niedrigen Angebotspreises ausgeschlossen werden. Es ist nachvollziehbar (und ergibt sich aus dem Wortlaut des § 60 Abs. 1 VgV), dass dann keine (weitere) Aufklärung notwendig war.
Auch die Argumente der VK Berlin sind nicht von der Hand zu weisen. Schließlich geht es bei der Preisprüfung in erster Linie darum, den Auftraggeber vor Schlechtleistung aufgrund zu knapp kalkulierter Angebote zu schützen. Ist eine Schlechtleistung aber aufgrund des Leistungsgegenstands faktisch ausgeschlossen, fragt sich in der Tat, ob und inwieweit eine Preisprüfung notwendig ist, wenn das Risiko der Verletzung des (primären) Schutzzwecks der Norm von vornherein nicht infrage steht.
Wie so häufig, wird es auf die konkreten Umstände des Einzelfalls ankommen.
von Prof. Dr. Christian-David Wagner, Fachanwalt für Vergaberecht
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