Grundlagen der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung
Digitale Konferenz: Grundlagen der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung

Wirksame nachhaltige öffentliche Beschaffung durch Kommunikation mit dem Anbietermarkt

Die öffentliche Beschaffung ist ein wichtiges Instrument, um die Nachhaltigkeitsziele, die sich Deutschland gesetzt hat, zu erreichen. Dies liegt insbesondere daran, dass mit den hohen Auftragsvolumina, die in öffentlichen Vergabeverfahren umgesetzt werden, die Möglichkeit der öffentlichen Hand einhergeht, durch ihr Nachfrageverhalten Anbietermärkte hin zu einem nachhaltigeren Leistungsangebot zu entwickeln.

Um diese Chance maximal ausschöpfen zu können, sollten öffentliche Auftraggeber die zulässigen Möglichkeiten einer Kommunikation mit dem Anbietermarkt, die das Vergaberecht bereithält, noch mehr als bisher ausschöpfen. Dabei ist der Dialog zwischen öffentlichem Auftraggeber und Anbietermarkt aus zwei Blickwinkeln betrachtet sinnvoll:

  • Zum einen kann der öffentliche Auftraggeber auf diese Weise mitteilen, welche auch mittel- und langfristigen Ziele hinsichtlich der Nachhaltigkeit in der Beschaffung verfolgt sowie welche Anforderungen an die Anbieterseite gestellt werden und die Erwartungshaltung erläutern. Dies ist oftmals ausschlaggebend dafür, dem Markt ausreichende Sicherheit zu geben, beispielsweise in Produktentwicklungen oder -beschaffungen, die Änderung eines Geschäftsmodells oder den Erwerb eines Nachhaltigkeitsgütezeichens zu investieren. Zudem können dadurch auch Anbieter angesprochen werden, die schon nachhaltig aufgestellt sind, sich aber bisher nicht an öffentlichen Vergabeverfahren beteiligt haben.
  • Zum anderen kann der Anbietermarkt dem öffentlichen Auftraggeber verdeutlichen, was der jeweilige Marktteilnehmende beim Thema Nachhaltigkeit schon leisten und umsetzen kann bzw. was perspektivisch möglich sein wird und was nicht und wo mögliche „Schmerzpunkte“ oder Hindernisse liegen.

Eine angemessene Kommunikation mit dem Markt dient dabei besonders auch dem Schutz kleiner und mittelständischer Unternehmen, indem diese durch die öffentliche Hand auf ihrem Weg zu einem nachhaltigen Leistungsangebot unterstützt werden. Denn große Unternehmen sind oftmals ohnehin schon regulatorisch (z.B. aus den Vorgaben zur Nachhaltigkeitsberichterstattung gemäß CSRD oder wegen Vorgaben zur Finanzierung aus der EU-Taxonomie) gezwungen, ihr Geschäftsmodell nachhaltig(er) aufzustellen.

Das Vergaberecht ermöglicht eine direkte Kommunikation zur Förderung der nachhaltigen Beschaffung, über das reine Zurverfügungstellen und Lesen der Vergabeunterlagen hinaus, an verschiedenen Stellen im Beschaffungsprozess.

Marktdialog/Markterkundung

Wichtige Instrumente für eine Kommunikation zwischen öffentlichem Auftraggeber und Anbietermarkt sind Marktdialoge bzw. Markterkundungen. Marktdialoge oder Markterkundungen finden im Vorfeld zu konkreten Auftragsvergaben, also außerhalb des eigentlichen Vergabeverfahrens, statt. Sie sind ausdrücklich vergaberechtlich zulässig (vgl. z.B. § 28 VgV, § 20 UVgO, § 2 EU Abs. 7 VOB/A). Solche Dialogformate können sowohl losgelöst von konkreten Beschaffungsvorhaben für einen allgemeinen Austausch zwischen Auftraggeber und Anbietermarkt (vgl. z.B. den Marktdialog „Nachhaltige Beschaffung von Textilien und Bekleidung“, den das Beschaffungsamt des BMI durchgeführt hat) als auch zur Vorbereitung eines konkreten Vergabeverfahrens genutzt werden. Dabei können öffentliche Auftraggeber ihre Erwartungshaltung für eine nachhaltige Beschaffung kommunizieren, sich einen Überblick über den Stand des Marktes verschaffen und für eine Teilnahme an kommenden Vergabeverfahren werben. Die Anbieterseite kann durch eine Teilnahme ein besseres Verständnis für künftige Nachhaltigkeitsanforderungen erwerben, auf etwaige Hindernisse und Herausforderungen hinweisen und sich und ihre Lösungen öffentlichen Auftraggebern präsentieren, z.B. auch für Vergaben, bei denen Auftraggeber direkt auf einen beschränkten Teilnehmerkreis zugehen.

Dabei kann die Kommunikation in verschiedenen Formaten stattfinden, beispielsweise in Form von öffentlichen Präsenz- oder Online-Veranstaltungen, in Einzelgesprächen, mittels Abfrage von Informationen in schriftlichen Fragebögen oder über einen Austausch mittels Plattformen wie KOINNOvationsplatz.

Inhaltlich ist ein Austausch z.B. über konkrete nachhaltige Lösungen und Herausforderungen in der Lieferkette, die Gestaltung eines späteren Vergabeverfahrens, etwa bezüglich der Angemessenheit von Verfahrensfristen und Nachweisen, oder über die Verfügbarkeit von Nachhaltigkeitsgütezeichen oder -zertifizierungen zulässig.
Ein Vorteil der Markterkundung liegt darin, dass die formalen Anforderungen geringer sind als in einem Vergabeverfahren, auch wenn die grundlegenden Vergabegrundsätze, wie Gleichbehandlung und Transparenz, gelten.

Marktweckruf

Sofern einem öffentlichen Auftraggeber Unternehmen z.B. mit besonders nachhaltigen Lösungen bekannt sind, beispielsweise aus einer vorangegangenen Markterkundung, ist es vergaberechtlich erlaubt, diese aktiv auf ein konkretes Vergabeverfahren aufmerksam zu machen und für eine Verfahrensteilnahme zu werben (sogenannte „Marktweckrufe“).

Wichtig ist, dass dies erst dann erfolgt, wenn das Vergabeverfahren formal durch Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung begonnen hat, um eine Bevorteilung der kontaktierten Unternehmen zu verhindern. Solche Marktweckrufe können z.B. erfolgen, indem die Vergabestelle diese Unternehmen per E-Mail anschreibt und auf die veröffentlichte Bekanntmachung hinweist.
Hiervon können insbesondere auch kleinere Anbieter profitieren, die nicht die Kapazitäten haben, die Veröffentlichungsmedien laufend zu scannen.

Bieterkolloquium

Besonders in Vergabeverfahren, in denen ein öffentlicher Auftraggeber Nachhaltigkeitsanforderungen neu aufnimmt oder diese komplex sind, kann von der Möglichkeit eines Bieterkolloquiums zur Kommunikation im Vergabeverfahren Gebrauch gemacht werden. Bieterkolloquien finden während der laufenden Angebotsfrist statt und sind in allen Vergabeverfahrensarten zulässig. Die Termine müssen wegen des Grundsatzes des Geheimwettbewerbs bieterindividuell stattfinden.

Bieterkolloquien können durch den Auftraggeber genutzt werden, die mit den Vergabeunterlagen mitgeteilten Nachhaltigkeitsanforderungen und -nachweise und die Erwartungshaltung noch einmal im Gespräch zu erläutern und hierzu ein Feedback von den Anbietern einzuholen. Bieterkolloquien ergänzen damit den schriftlich erfolgenden Bieterfragenprozess und können Verzögerungen im Vergabeverfahren, die durch Missverständnisse oder Unklarheiten entstehen, vorbeugen. Dabei ist sicherzustellen, dass spätestens im Nachgang zu den Terminen alle teilnehmenden Bieter auf den gleichen Informationsstand gebracht werden, z.B., sofern notwendig, durch eine schriftliche Ergänzung der Vergabeunterlagen. Aus Gründen der Transparenz sollten die Kolloquien außerdem angemessen protokolliert werden.

Dialoggeprägte Verfahrensarten

In den Verfahrensarten, in denen Verhandlungen zulässig sind (sogenannte dialoggeprägte Verfahrensarten), also insbesondere Verhandlungsverfahren, Verhandlungsvergabe (bei Liefer- und Dienstleistung) und freihändige Vergabe (bei Bauleistungen), sollten die Verhandlungen dazu genutzt werden, über Nachhaltigkeitsaspekte zu sprechen. Die Erkenntnisse aus den Verhandlungen müssen im Anschluss an die Verhandlungen für alle Bieter einheitlich in den Vergabeunterlagen abgebildet werden.

Kommunikation nach Zuschlagsentscheidung

Oft vernachlässigt werden erfahrungsgemäß die Möglichkeiten und Chancen einer Kommunikation zwischen öffentlichem Auftraggeber und Anbietermarkt nach der Zuschlagsentscheidung.
Dies umfasst zum einen die Möglichkeit, den unterlegenen Bietern Feedback zu geben, sofern ihr Angebot nicht berücksichtigt wurde, weil erwartete Nachhaltigkeitsaspekte nicht oder nicht ambitioniert genug bedient wurden.

Zum anderen sollten Auftraggeber auch im Rahmen der Auftragsausführung mit bezuschlagten Bietern dafür sorgen, dass die im Vergabeverfahren thematisierten Nachhaltigkeitsaspekte schon zur Sicherstellung einer wirtschaftlichen Beschaffung und eines fairen Wettbewerbs auch tatsächlich umgesetzt und vielleicht sogar noch weiterentwickelt werden. Dies erfordert ein angemessenes Monitoring in der Vertragsausführung. Es muss sichergestellt werden, dass die Nachhaltigkeitsversprechungen aus dem Vergabeverfahren auch eingehalten werden. Die Vertragsbedingungen können aber auch so gestaltet werden, dass ein Anreiz dafür gesetzt wird, Nachhaltigkeitsbemühungen insbesondere über eine längere Vertragslaufzeit stetig zu steigern, etwa indem belohnt wird, sofern ein Anbieter seine Nachhaltigkeitszusagen in der Vergabe noch übertrifft oder Nachhaltigkeitsanforderungen und -nachweise sukzessive auf weitere vertragsgegenständliche Produkte ausgeweitet werden.

Praxistipp

Das Vergaberecht bietet verschiedene Möglichkeiten der Kommunikation zwischen öffentlichem Auftraggeber und Anbieterseite. Diese Möglichkeiten sollten zugunsten einer nachhaltigen öffentlichen Beschaffung noch mehr genutzt werden. Dabei können sich unterschiedliche Kommunikationsmöglichkeiten, ggf. auch in Kombination, abhängig vom konkreten Beschaffungsvorhaben als angemessen und zielführend erweisen.

Julia Gielen
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Vergaberecht
Öffentlicher Sektor, KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH

 

 

Grundlagen der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung
Digitale Konferenz: Grundlagen der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung

Welche Aspekte umfasst das Konzept der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung und warum ist die Auseinandersetzung mit dem Thema sowohl für öffentliche Auftraggeber als auch für Bieter so wichtig?

online | Mo. 30.09.2024 | 10:00

Diese Veranstaltung richtet sich an:
  • Mitarbeiter/-innen von öffentlichen Auftraggebern, die das Thema Nachhaltigkeit begleiten und sich damit beschäftigen.

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