Zur Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Anwalts im Vergabenachprüfungsverfahren
Im Vergabenachprüfungsverfahren ist die Hinzuziehung eines Anwalts nicht per se notwendig. Dies gilt für die Bieter-, wie auch für die Auftraggeberseite. D.h. auch, dass die damit verbundenen Kosten auch nicht notwendigerweise von der unterlegenen Partei zu ersetzen sind. Vielmehr setzt die Erstattungsfähigkeit voraus, dass die Hinzuziehung für notwendig erklärt wird (§ 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 VwVG).
Zu der Frage, wann eine derartige Notwendigkeit vorliegt, gibt das Gesetz keine Regel vor, sodass es auf den Einzelfall ankommt. Danach genügt es jedenfalls nicht, dass die Hinzuziehung schlicht als sinnvoll und nützlich angesehen wird und den Mandaten von eigenen Mühen befreit, sich mit der Sache bzw. mit der Materie „Vergaberecht“ zu befassen. Das Kammergericht (B.v. 14.12.2022 – Verg 10/22) hat dies nochmals ausführlich dargelegt:
Entscheidend ist, ob der Beteiligte unter den Umständen des Falles auch selbst in der Lage gewesen wäre, aufgrund der bekannten oder erkennbaren Tatsachen den Sachverhalt so zu erfassen, daraus korrekt auf etwaige vergaberechtswidrige Zustände zu schließen und hieraus dann die nötigen Schlüsse für eine sinnvolle Rechtswahrung oder -verteidigung zu ziehen und gegenüber der Vergabekammer vorzubringen.
Hierfür können neben Gesichtspunkten wie der Einfachheit oder Komplexität des Sachverhalts, der Überschaubarkeit oder Schwierigkeit der zu beurteilenden Rechtsfragen auch rein persönliche Umstände bestimmend sein. So bspw. die sachliche und personelle Ausstattung des Beteiligten. Wobei dabei nicht nur auf vergaberechtliche Kenntnis des Personals abzustellen, sondern auch zu berücksichtigen ist, dass eine umfassende und erfolgversprechende Rechtswahrnehmung im Nachprüfungsverfahren auch prozessuale Kenntnisse erfordert. Zudem fließt der Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleichheit in die Prüfung mit ein.
Zwar gilt sowohl für die Bieter- als auch für die Auftraggeberseite, dass es bzgl. der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten auf die Umstände des Einzelfalls ankommt; allerdings mit unterschiedlichem Ergebnis. Für die Bieterseite wird die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten wegen der Schwierigkeit des Vergaberechts, der kontradiktorischen Ausgestaltung des Nachprüfungsverfahrens und der Eilbedürftigkeit des Vortrags in Vergabesachen regelmäßig bejaht werden können. Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn das Bieterunternehmen über eine eigene Rechtsabteilung mit im Vergaberecht versierten Mitarbeitern verfügt. Mit anderen Worten stellt die Notwendigkeit der Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten die Regel dar.
Auf der Auftraggeberseite sieht es anders aus. Hier sind die Einzelfallumstände zu betrachten, insbesondere die Art des Auftraggebers. Es liegt auf der Hand, dass ein Beschaffungsamt andere vergaberechtliche Kenntnisse besitzt als ein Auftraggeber, der nur „ausnahmsweise“ dem Vergaberecht unterliegt, etwa weil sein Bauvorhaben zu mehr als 50 % subventioniert wird.
Insgesamt ist zu berücksichtigen, dass der Auftraggeber die Fakten der „Unregelmäßigkeit“ selbst geschaffen hat und sich bereits im Vorfeld mit den Gegebenheiten des Vergabeverfahrens prüfend befasst hat. Entsprechend gilt, dass wenn das Nachprüfungsverfahren schwerpunktmäßig auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen zum Gegenstand hat, für den Auftraggeber im Regelfall keine Notwendigkeit besteht, einen Anwalt hinzuzuziehen. In seinem originären Aufgabenbereich muss er sich vielmehr die notwendige Sach- und Rechtskenntnis selbst verschaffen (OLG Brandenburg, B.v. 13.9.2021, 19 Verg 4/21; OLG Frankfurt, B.v. 20.1.2016 – 11 Verg 11/15). Von einer Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten ist damit insgesamt weniger häufig auszugehen.
von Prof. Dr. Christian-David Wagner, Fachanwalt für Vergaberecht
Datum: