Zuwendungsrecht und Vergaberecht – Teil 3: Die Ermessensentscheidung
In Teil 1 der Reihe ging es um die Schnittstellen von Zuwendungs- und Vergaberecht, insbesondere aber um die Möglichkeit, Vergaberecht über die Einbeziehung von Nebenbestimmungen in den Zuwendungsbescheid, regelmäßig in Form von Allgemeinen Nebenbestimmungen für Zuwendungen (ANBest), zur Anwendung zu bringen. Dadurch droht dann bei Vergaberechtsfehlern (die in Teil 2 der Reihe beleuchtet wurden), also Auflagenverstößen, die Rückforderung bereits gewährter Leistungen bzw. die Nicht-Auszahlung vorgehaltener Mittel.
Damit, wie genau der Auftraggeber diesbezüglich, also in Bezug auf die (finanziellen) Konsequenzen von Vergabefehlern vorzugehen hat, befasst sich dieser Teil der Beitragsreihe.
- Ermessen
Wurde ein Vergabefehler objektiv festgestellt, muss der Zuwendungsgeber auf Rechtsfolgenseite eine Ermessensentscheidung treffen, denn: Der Widerruf ist bei objektiven Vergabefehlern keineswegs ein Automatismus. Vielmehr muss die Widerrufsbehörde im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens entscheiden, ob sie den Zuwendungsbescheid ganz, teilweise oder überhaupt nicht aufhebt. Hier liegt das Hauptaugenmerk der Widerrufsbehörde. Und hier liegen auch die meisten Streitpunkte im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten.
- Intendiertes Ermessen und Verwaltungspraxis
Nach der Rechtsprechung ist im Ausgangspunkt das Widerrufsermessen intendiert. Dies folgt aus den haushaltsrechtlichen Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Liegt kein vom Regelfall abweichender Sachverhalt vor, versteht sich das Ergebnis von selbst und bedarf keiner das Selbstverständliche darstellende Begründung (bspw. OVG Münster v. 15.08.2019 – 15 A 2792/18; BVerwG, 26.06.2002 – 8 C 30.01; VG Gießen v. 11.12.2023 – 4 K 1641/22).
Das bedeutet aber nicht, dass nicht die Besonderheiten des Einzelfalls zu beachten wären. Die Widerrufsbehörde muss nämlich in jedem Fall den ihr verbleibenden Ermessensspielraum erkennen und prüfen; insbesondere, ob eine vom Standardfall abweichende Situation gegeben ist.
Im Rahmen der Ausübung ihres Ermessens ist die Widerrufsbehörde gegenüber dem Zuwendungsnehmer vorrangig durch den allgemeinen Gleichheitssatz gebunden. Konkret bedeutet dies, dass es ganz wesentlich auf das regelmäßige Verwaltungshandeln ankommt (VG München, 25.04.2024 – M 31 K 21.2797). In diesem Sinne sind nicht nur Erlasse und Richtlinien zu verstehen, die in manchen Bundesländern teils als ermessensleitende Verwaltungsvorschriften Rückforderungsmaßstäbe aufstellen (vgl. bspw. die Richtlinie zur Rückforderung bei schweren Vergabeverstößen – Bayern; sind EU-Mittel betroffen, kommt die von der Kommission selbst anzuwendenden „Leitlinien für Finanzkorrektur“ zum Tragen [KOM v. 14.05.2019 C (2019) 3452]), ganz wesentlich kommt es auch auf die regelmäßige Verwaltungspraxis bei der Anwendung solcher ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften an, und zwar in Bezug auf die Einstufung bestimmter Vergabefehler ebenso wie in Bezug auf die anzusetzende Höhe der Rückforderung.
Auch die generalisierende Regelbeurteilung ermessensleitender Verwaltungsvorschriften entbindet den Zuwendungsgeber nämlich nicht davon, die Einzelumstände zu würdigen; insbesondere sind Abweichungen vom Regelfall zu berücksichtigen, auf den die ermessensleitende Verwaltungsvorschrift zugeschnitten ist (VG München a.a.O.; OVG Schleswig-Holstein v. 18.12.2020 – 5 LA 179/29; v. 23.08.2022 – S LB 9/20). Der Zuwendungsgeber muss auch insofern den ihm verbleibenden Ermessensspielraum erkennen und etwaige Abweichungsmöglichkeiten prüfen (OVG Nordrhein-Westfalen v. 15.08.2019 – 15 A 2792/18).
- Ermessen im Einzelfall
Im Rahmen des Ermessens sind im Einzelfall insbesondere folgende Aspekte einzubeziehen respektive ausschlaggebend, und zwar sowohl in Bezug auf das „Ob“ des Widerrufs als auch in Bezug auf die konkrete Höhe der Rückforderung:
- aa) Schwere des Verstoßes
Ganz wesentlich kommt es auf die „Schwere“ des Vergaberechtsverstoßes an, was auch aus den jeweiligen Erlassen deutlich wird, die entsprechend des Schweregrads kategorisieren.
In diesem Zusammenhang wird auch betrachtet, ob bzw. inwiefern Auswirkungen auf den haushaltsrechtlichen Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (der das Zuwendungsrecht prägt) mit den jeweiligen Vergabefehlern einhergehen (OVG Schleswig-Holstein v. 23.08.2022 – S LB 9/20).
Entsprechend ist bei rein formalen Verstößen, bei denen Auswirkungen auf den haushaltsrechtlichen Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nicht annähernd erkennbar sind, ein Widerruf regelmäßig nicht angezeigt und wäre unverhältnismäßig (OVG Schleswig-Holstein v. 18.12.2020 – 5 LA 179/29).
- bb) Subjektive Vorwerfbarkeit
Sofern nicht ohnehin bei divergierender Rechtsauffassung bereits nicht von einem objektiven Vergabefehler gesprochen werden kann, müsste dies im Rahmen der Ermessenentscheidung Beachtung finden (OVG Münster v. 15.08.2019 – 15 A 27/92/18). Auch unbewusste Verstöße gegen Vergaberecht sind im Rahmen der Ermessensausübung zu betrachten. Wenn bspw. der Zuwendungsgeber gegenüber dem Zuwendungsempfänger den Eindruck erweckt hatte, mit einem bestimmten Vorgehen einverstanden zu sein, wäre ein Widerruf nicht mit Treu und Glauben in Einklang zu bringen (VG Gießen v. 11.12.2023 – 4 K 1641/22; VG Köln v. 21.11.2013 – 16 K 6287/11).
- cc) Weitere Aspekte
Zu beachten können aber auch andere konkrete Einzelfallumstände sein, bspw., wenn der Widerruf einen weiter zurückliegenden Zeitraum erfasst und eine hohe Rückzahlungspflicht auslöst, die gerade für „kleine“ Zuwendungsempfänger erhebliche finanzielle Belastung darstellen würde (OVG Schleswig-Holstein v. 23.08.2022 – S LB 9/20).
Während die Feststellung von objektiven Vergabefehlern regelmäßig keine großen Schwierigkeiten bereitet, birgt die Ermessensentscheidung in Bezug auf die Rückforderungsentscheidung von Zuwendungen viele und vielseitige Fallstricke. Insoweit kommt es immer ganz wesentlich auf die Umstände des Einzelfalls an.
von Prof. Dr. Christian-David Wagner, Fachanwalt für Vergaberecht
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