Beschaffungsdienstleister dürfen Angebote öffnen
Um auf deren besondere Expertise zuzugreifen oder schlicht nicht (nur) eigene Personalressourcen einsetzen zu müssen, können Auftraggeber bei der Durchführung von Vergabeverfahren sog. Beschaffungsdienstleister einbeziehen. Art. 2 Abs. 1 Nr. 17 RL 2014/24/EU definiert „Beschaffungsdienstleister“ als eine öffentliche oder privatrechtliche Stelle, die auf dem Markt Nebenbeschaffungstätigkeiten anbietet. „Nebenbeschaffungstätigkeiten“ werden in der dortigen Nr. 15 definiert und umfassen eine breite Palette die eigentliche Beschaffungstätigkeit unterstützender Tätigkeiten. Diese gehen von der Bereitstellung der technischen Infrastruktur über die Beratung bzgl. Ausführung und Planung bis zu Vorbereitungs- und Verwaltungstätigkeiten bei der Durchführung des Vergabeverfahrens.
Die Möglichkeit des Einsatzes externer Dritter darf allerdings nie die Grenzen der bloßen Unterstützung überschreiten. Schließlich bleibt es bei dem Grundsatz, dass der öffentliche Auftraggeber „Herr des Verfahrens“ bleiben und sämtliche „wesentlichen“ Entscheidungen selbst treffen muss. Allein die Vergabestelle trägt die (ausschließliche) Verantwortung für den Beschaffungsvorgang (OLG Naumburg, B.v. 26.2.2004, Verg 17/03). Abschließend aufzählen lassen sich diese „wesentlichen“ Entscheidungen nicht. Darunter sind vielmehr all solche zu verstehen, die „Weichen stellend“ sind und das künftige Ergebnis des Verfahrens beeinflussen können. Dazu zählen bspw. die Feststellung des Beschaffungsbedarfs, die Entscheidung, ob und welche Unterlagen nachgefordert werden, und insbesondere auch die Angebotswertung selbst. Vorbereitungshandlungen Dritter sind zwar auch in diesen Bereichen nicht ausgeschlossen, der öffentliche Auftraggeber muss diese aber nachvollziehen und sich durch eigene Erwägungen zu eigen machen. Er darf sie nicht lediglich „abnicken“ (vgl. z.B. VK Lüneburg, B.v 2.11.2018 – VgK-40/2018; VK Nordbayern, B.v. 18.6.2020 – RMF-SG-21-3194-5-7).
Zu diesen „ureigenen“ Tätigkeiten zählte die VK Südbayern bisher auch die Öffnung der Angebote nach § 55 Abs. 2 VgV (VK Südbayern, B.v. 2.1.2018 – Z3-3-3194-1-47-08/17). Für die Angebotsöffnung im Rahmen elektronischer Vergabeverfahren nahm sie nun aber davon Abstand (VK Südbayern, B.v. 16.5.2022 – 3194.Z3-3_01-21-62).
Unter Anschluss an das OLG Düsseldorf (B.v 14.11.2018 – Verg 31/18) entschied die Vergabekammer, dass dort (im Rahmen elektronisch durchgeführter Vergabeverfahren) auch Mitarbeiter eines vom öffentlichen Auftraggeber hierzu ermächtigten Beschaffungsdienstleisters die Angebote öffnen können. Dazu führt sie wie folgt aus:
„(Durch) die inzwischen im absoluten Regelfall durchzuführende elektronische Durchführung des Vergabeverfahrens, insbesondere durch die Nutzung von Vergabeplattformen zur Angebotsabgabe und Angebotseröffnung, auf Grund der umfassenden elektronischen Protokollierungen der Angebotsschritte“ sei eine Manipulationsgefahr „verschwindend gering“.
Die Entscheidung ist im Rahmen elektronisch durchgeführter Vergabeverfahren praktisch sinnvoll, nachvollziehbar und in rechtlicher Hinsicht überzeugend. Eine Komplettübertragung auf sämtliche Angebotsöffnungen verbietet sich aber. Vorsicht ist insbesondere insofern geboten, als die Richtlinien zu 111 (Vergabevermerk – Wahl der Vergabeart) des aktuellen VHB unter Ziff. 8 die Übertragung nach wie vor verbieten: „Ebenso wenig dürfen (freiberuflich Tätige) (…) Angebote entgegennehmen oder öffnen bzw. den Eröffnungstermin durchführen, da es sich dabei um nichtdelegierbare Bauherrenaufgaben handelt.“
von Prof. Dr. Christian-David Wagner, Fachanwalt für Vergaberecht
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