Qualifizierungssysteme: Strategisches Mittel zur effizienten Beschaffung im Sektorenbereich
Über dynamische Beschaffungssysteme nach VgV/UVgO sowie die Vorteile, die mit diesen einhergehen, wird in der Vergabewelt aktuell viel gesprochen. Viel weniger Aufmerksamkeit erhalten die Qualifizierungssysteme, die eine vergleichbare Möglichkeit zur Auslagerung des Teilnahmewettbewerbs für Sektorenauftraggeber nach § 100 GWB darstellen. Im Folgenden möchte ich Ihnen einen Überblick geben, welche Besonderheiten die Einrichtung von Qualifizierungssystemen mit sich bringt und welche Vorteile damit einhergehen. Darüber hinaus erhalten Sie einige praktische Tipps für die Einrichtung eines solchen Systems.
Was ist ein Qualifizierungssystem?
Ein Qualifizierungssystem eröffnet Sektorenauftraggebern die Möglichkeit, die Eignungsprüfung von Unternehmen unabhängig von einem konkreten Vergabeverfahren durchzuführen. Hintergrund ist, dass gerade im Sektorenbereich häufig bestimmte Anforderungen an Unternehmen (kaufmännische Kriterien) oder Produkte und Dienstleistungen (technische Kriterien) bestehen, sodass nur ein bestimmter Bieterkreis infrage kommt.[1]
Dies erleichtert die spätere Vergabe enorm, wenn Leistungen häufig beschafft werden und hierbei regelmäßig der EU-Schwellenwert überschritten wird.
Rechtsgrundlage für die Einrichtung eines Qualifizierungssystems ist § 48 SektVO i.V.m. § 37 SektVO. Die Gültigkeitsdauer des Qualifizierungssystems kann der Auftraggeber nach Bedarf beliebig festsetzen. Es muss jedoch sichergestellt sein, dass Unternehmen während der Gültigkeitsdauer jederzeit einen Antrag auf Zulassung zum Qualifizierungssystem stellen können. Für die Funktionsweise, den Ausschluss und die Zulassung sowie den Qualifizierungsprozess legt der Auftraggeber objektive Kriterien fest. Innerhalb dieses Rahmens wird dem Auftraggeber ein großer Spielraum zur Verfügung gestellt.[2]
Aktualisierungen sind den beteiligten Unternehmen stets mitzuteilen. § 48 Abs. 11–12 SektVO regeln die Fristen, innerhalb derer die Unternehmen über die Entscheidung hinsichtlich der Qualifizierung informiert werden müssen.
Sofern das Qualifizierungssystem nach Maßgabe des § 37 SektVO EU-weit bekannt gemacht wurde, erfolgt die spätere Auftragsvergabe unter den qualifizierten Unternehmen in Form eines nicht offenen Verfahrens oder Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb (analog der Mini-Wettbewerbe im Zuge der dynamischen Beschaffungssysteme).
Vorteile eines Qualifizierungssystems
Der wesentliche Vorteil eines Qualifizierungssystems ist die Beschleunigung der Beschaffung. Teilweise erfordert die technische Eignungsprüfung von Produkten eine lange Zeit, wie beispielsweise bei der Beschaffung von Aktivkohle zur Filterung von Wasser. Um das teils mehrmonatige Prüfverfahren nicht in jedem Vergabeverfahren durchlaufen zu müssen, greifen beispielsweise Stadtwerke zum Teil auf die Auslagerung der Eignungsprüfung in einem Qualifizierungssystem zurück. Ein anderes Beispiel sind Tiefbauarbeiten, für die eine gültige Grabegenehmigung der Stadt vorliegen muss. Ohne selbige käme ein Unternehmen von vornherein nicht in Betracht, und da diese Leistungen sehr häufig EU-weit vergeben werden, lohnt es sich schon aus zeitlichen Gründen, die Vergabeverfahren um die Eignungsprüfung zu erleichtern.
Qualifizierungssysteme vereinfachen zudem die Kommunikation mit potenziellen Lieferanten. Sollte man auf Messen oder anderweitig auf interessante Unternehmen stoßen oder sich gar der Kaltakquise eines Vertriebsmitarbeiters ausgesetzt sehen, kann ganz einfach auf das bestehende System verwiesen werden.
Darüber hinaus eröffnen Qualifizierungssysteme eine höhere Flexibilität innerhalb des Beschaffungsgegenstands. Sollten politische Vorgaben Änderungen beispielsweise im Bereich der Energie- oder Verkehrsinfrastruktur erforderlich machen, kann dies schnell eine Vielzahl von Auftragsvergaben im Sektorenbereich mit sich ziehen. Wenn in solchen Fällen bereits auf ein Verzeichnis qualifizierter Unternehmen zurückgegriffen werden kann, vereinfacht dies fortfolgende Prozesse.
Praktische Tipps für die Einrichtung eines Qualifizierungssystems
Falls Sie mit dem Gedanken spielen, ein Qualifizierungssystem einzurichten, sollten Sie sich im Vorfeld bereits Gedanken um Ihre strategischen Bedarfe machen. Hierbei hilft das Controlling bestehender und vergangener Vergaben. Die Auswertung über die Anzahl der Vergaben eines Beschaffungsgegenstands sowie die (zeitliche) Intensität der Eignungsprüfung sind bereits ein guter Indikator für die Frage, ob die Einführung eines Qualifizierungssystems Sinn macht. Denn klar ist auch: Die Vorbereitung für ein Qualifizierungssystem wird erst einmal viel Zeit kosten.
Wenn Sie Ihre strategischen Bedarfe analysiert und passende Leistungen identifiziert haben, müssen die kaufmännischen und technischen Anforderungen an eine Qualifizierung ausgearbeitet werden. Hierbei geht es um die Höhe der Hürden bzw. den Spagat zwischen Qualitätsanspruch und Wettbewerb. Bedenken Sie, dass die objektiv aufgestellten Eignungskriterien später nicht noch einmal als Zuschlagskriterien verwendet werden dürfen. Als praktisches Beispiel nehmen wir noch einmal die Aktivkohle. Sollten Sie einen bestimmten Prozentsatz zur Wasserreinigung als Mindeststandard voraussetzen, können Sie später niemanden besser bewerten, der diesen mit neuen Technologien deutlich übertrifft. Am Ende müssen die objektiven Anforderungen, erforderlichen Nachweise und Informationen in Dokumente, wie Fragebögen oder Eigenerklärungen, überführt werden, die den Unternehmen später bereitgestellt werden.
Sofern der Beschaffungsgegenstand eine umfassende technische Eignungsprüfung erfordert, kann es sinnvoll sein, die Qualifizierung in zwei Stufen durchzuführen. In der ersten Stufe würde eine generelle Eignungsprüfung der Unternehmen stattfinden. Hier könnten alle Informationen und Nachweise eingeholt werden, die darüber entscheiden, ob das Unternehmen grundsätzlich für eine Auftragsvergabe infrage kommt. Beispiele hierfür sind das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen oder die personelle sowie wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Bewerbers. In der zweiten Stufe können Anforderungen an die Fachkunde oder die zu erbringenden Leistungen geprüft werden, wie beispielsweise bestimmte Zertifizierungen, Genehmigungen oder die Qualifikation und Expertise des für die Auftragsausführung vorgesehenen Personals. Auch besondere technische Merkmale von Produkten oder eingesetzten Materialen können hier eine Rolle spielen. Eine zweistufige Vorgehensweise vereinfacht in diesem Fall den Prozess auf beiden Seiten, da Antragsteller und Auftraggeber erst dann einen Aufwand für die zweite Prüfungsstufe betreiben müssen, wenn die generelle Eignung bestätigt wurde.
Darüber hinaus sollten sich Auftraggeber bereits bei der Vorbereitung der Einrichtung eines Qualifizierungssystems Gedanken darüber machen, welche Kontrollen und Maßnahmen während der Gültigkeitsdauer eines Qualifizierungssystems erforderlich sind. Sinnvoll ist, die Gültigkeitsdauer von bestimmten Zertifikaten und Bescheinigungen zu dokumentieren. Hier kann ein Lieferantenmanagementsystem helfen, alles im Blick zu behalten und bei Bedarf Reminder zu versenden, sollte sich die Gültigkeitsdauer dem Ende zuneigen.
Auch der Umgang mit Mängeln oder Schlechtleistung bei der späteren Auftragsausführung sollte bereits in der Vorbereitung bedacht werden. Eine Möglichkeit hierzu zeigt ein Gasversorgungsunternehmen, das für das Verzeichnis der qualifizierten Unternehmen einen Qualifizierungsstatus in Form eines Ampelsystems eingeführt hat. Bei wiederholten Defiziten und erfolglosen Gesprächen kann ein Unternehmen vom Status „Grün“ auf „Gelb“ gesetzt werden, was dazu führen kann, dieses Unternehmen seltener im Zuge der Miniwettbewerbe zur Angebotsabgabe aufzufordern. Dies kann ein probates Mittel zur Qualitätskontrolle auch über die Eignungsprüfung hinweg sein, die Objektivität vorausgesetzt.
Technische Umsetzung mit dem Deutschen Vergabeportal
Im Deutschen Vergabeportal haben Sie die Möglichkeit, die EU-weite Bekanntmachung über das Bestehen eines Qualifizierungssystems zu erstellen und zu veröffentlichen. Bekanntmachung und die hinterlegten Teilnahmeunterlagen sind für interessierte Bewerber während der Gültigkeitsdauer jederzeit frei zugänglich. Über den Eingang von Teilnahmeanträgen werden Sie automatisch per E-Mail informiert und die Rückmeldungen nach Abschluss der Prüfung können den Bewerbern direkt über das System zugestellt werden, sodass diese automatisch protokolliert werden. Auch das Verzeichnis der qualifizierten Unternehmen können Sie im System speichern, um diese mittels weniger Klicks im späteren Verfahren zur Angebotsabgabe aufzufordern. Nach Anlage der ersten Vergabe im nicht offenen Verfahren oder Verhandlungsverfahren kann der Projektraum für weitere Beschaffungen kopiert werden, wodurch sich auch hier noch einmal Zeit sparen lässt.
Webinare und Veranstaltungen
Weitere Informationen zu diesem Thema sowie die beispielhafte Anlage eines Qualifizierungssystems im Deutschen Vergabeportal zeige ich interessierten Organisationen in einem kostenfreien Webinar am 25. September 2024. Darüber hinaus planen wir für das zweite Quartal 2025 ein Forum für den Einkauf im Sektorenbereich, bei dem es neben den Qualifizierungssystemen um viele weitere Themen aus dem Beschaffungsalltag eines Sektorenauftraggebers gehen wird. Neben rechtlichen Vorträgen und Beiträgen aus der Praxis geht es hier insbesondere auch darum, sich mit anderen Sektorenauftraggebern zu vernetzen und auszutauschen. Bei Interesse behalten Sie gerne unsere Veranstaltungen im Blick oder melden sich vorab bei uns, sodass wir Sie hierzu informieren.
[1] Ziekow/Völlink, Vergaberecht 5. Auflage, S. 1820, Abs. 1–2.
[2] Ziekow/Völlink, Vergaberecht 5. Auflage, S. 1820, Abs. 3.
von Lucas Spänhoff, Leitung Produktberatung Öffentliche Auftraggeber, DTVP Deutsches Vergabeportal GmbH
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