Textform im Vergabeverfahren
Mit der Vergaberechtsreform 2016 wurden neue Vorschriften über die Form und Übermittlung von Angeboten , Teilnahmeanträgen und Interessensbekundungen eingeführt. Danach ist die Textform gemäß § 126b BGB die Regel, die fortgeschrittene elektronische bzw. qualifizierte elektronische Signatur hingegen die Ausnahme. Aber was bedeutet Textform gemäß § 126b BGB in der Beschaffungspraxis?
Zu dieser Frage sind in jüngster Vergangenheit eine Reihe von Entscheidungen ergangen. Klar ist, dass Textform gemäß § 126b BGB eine lesbare Erklärung verlangt, in der die Person des Erklärenden genannt ist und die auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben wird. Bezüglich der Nennung der Person des Erklärenden genügt bei natürlichen Personen jedenfalls die Namensnennung (§ 12 BGB), bei juristischen Personen und Handelsgesellschaften die Nennung der Firmennamen (§ 17 HGB). Weiter muss auch der Abschluss der Erklärung durch Nachbildung der Namensunterschrift oder auf andere Weise erkennbar gemacht werden. Anderenfalls wird kein wirksames Angebot abgegeben. Es genügt nicht, wenn sich die Person des Erklärenden aus einer Gesamtschau der Unterlagen ermitteln lässt (vgl. OLG Karlsruhe, B.v. 19.2.2020, 15 Verg 1/20).
Auf der anderen Seite wird den Anforderungen an die Textform Genüge getan, wenn die Textfelder auf Formblättern sämtlich maschinenschriftlich ausgefüllt werden. Fordert der Auftraggeber eine elektronische Übermittlung der Angebote in Textform, muss der Bieter die auszufüllenden Formblätter nicht ausdrucken, unterschreiben und anschließend wieder einscannen. Das gilt selbst dann, wenn sich auf den Formularen eine Unterschriftenzeile findet (vgl. OLG Naumburg, B.v. 4.10.2019, 7 Verg 3/19).
Freilich muss sich der Auftraggeber im Rahmen der vergaberechtlichen Vorgaben nicht mit der Textform als gesetzlicher Mindestanforderung begnügen, sondern darf weitergehende formelle Anforderungen aufstellen, die eine hinreichende Beweis- und Klarstellungsfunktion im Ausschreibungsverfahren und nachfolgenden Rechtsverkehr sicherstellen. Bei der Festlegung der Formanforderungen ist dabei zwischen einer möglichst weiten Wettbewerbsoffenheit durch weitgehend barrierefreie elektronische Kommunikation einerseits und der Gewährleistung eines hinreichend sicheren und effizienten elektronischen Ausschreibungsverfahrens andererseits abzuwägen.
Verlangt der öffentliche Auftraggeber, dass das Angebot elektronisch über ein auf den Bieter registriertes Benutzerkonto hochzuladen ist, ist das Angebot einer Bietergemeinschaft (BIEGE), das von der Muttergesellschaft eines der BIEGE-Mitglieder hochgeladen wird, vom Vergabeverfahren auszuschließen, wenn keine auf die Muttergesellschaft lautende Vollmacht vorgelegt wird, Angebote von BIEGEn aber nur Berücksichtigung finden sollten, wenn diese durch den Bevollmächtigten der BIEGE hochgeladen wurden (vgl. VK Bund, B.v. 31.1.2020, VK 2 – 102/19; nicht bestandskräftig).
Gibt der Auftraggeber vor, dass die Angebotsabgabe in Textform (für ihn) bedeute, dass die elektronisch übermittelten Dateien der Vergabeunterlagen „mit geeigneter Software ausgefüllt“ werden müssen, und dass Angebote ausgeschlossen werden, deren Unterlagen ausgedruckt, anderweitig ausgefüllt und wieder eingescannt werden, ist ebenso ein entsprechendes Formerfordernis wirksam aufgestellt (vgl. OLG Naumburg, B.v. 22.11.2019, 7 Verg 7/19).
Mit anderen Worten: Textform ist nicht gleich Textform. Öffentlichen Auftraggebern sei daher empfohlen, klare Vorgaben in den Vergabeunterlagen zu machen, was sie unter Textform verstehen. Fehlen solche Vorgaben und sind die Vergabeunterlagen insoweit widersprüchlich, sollten Bieter lieber nachfragen, wie sie sich verhalten sollen. Anderenfalls kann der Angebotsausschluss drohen.
von Prof. Dr. Christian-David Wagner, Fachanwalt für Vergaberecht
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