Ausnahme von der Fachlosvergabe
Leistungen sind der Menge nach aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlos) zu vergeben. Soweit der Grundsatz nach § 97 Abs. 4 GWB. Unter welchen Voraussetzungen davon – konkret der Fachlosvergabe – abgewichen werden darf und wie dabei vorzugehen ist, wird in einer kürzlich von der VK Bund (Beschluss v. 10.03.2022, VK 1 – 19/22) getroffenen Entscheidung deutlich.
Ausgeschrieben war der „Versand von Schreiben aus Fachverfahren“. Aufgeteilt waren die Leistungen der Menge nach. Jedes der Teillose enthielt seinerseits die Leistungen Druck, Kuvertierung und Versand. Ein Bieter rügte die unterbliebene Aufteilung der Leistungen in Fachlose, konkret „Druck/Kuvertierung“ bzw. „Versand“, sowie die fehlende Unterteilung in Gebietslose. Die Vergabestelle meint, wegen überwiegender technischer und wirtschaftlicher Gründe habe hier auf weitere Unterteilung verzichtet werden können.
Auch die Vergabekammer sieht keinen Verstoß gegen das Gebot der Losvergabe. Zwar seien Drucken/Kuvertieren und anschließender Postversand der Briefe grundsätzlich zu trennende Leistungsbereiche, die grundsätzlich auch eine gesonderte Ausschreibung in getrennten Losen erfordern. In der Tat überwogen im konkreten Fall allerdings technische und insbesondere wirtschaftliche Gründe, die das Absehen von weiterer Unterteilung rechtfertigten.
Die Vergabekammer hebt in diesem Zusammenhang unter Bezugnahme auf die Entscheidung des OLG Düsseldorf (v. 13.3.2020, Verg 10/20) deutlich hervor: damit der Auftraggeber vom Grundsatz der Losvergabe absehen kann, muss er sich vorher gründlich mit dem Für und Wider der Losvergabe vs. zusammenfassende Vergabe im Rahmen einer umfassenden Abwägung der widerstreitenden Interessen auseinandergesetzt haben. Als Ergebnis dieser umfassenden Abwägung müssen die Gründe, die für eine zusammenfassende Vergabe sprechen, nicht nur anerkennenswert sein, sie müssen überwiegen. Der mit einer Fachlosvergabe allgemein verbundene typische höhere Ausschreibungs-, Prüfungs- und Koordinierungsaufwand sowie ein höherer Aufwand bei Gewährleistung darf bei der Abwägung nicht berücksichtigt werden.
Maßgeblich wären im konkreten Fall durch weitere Unterteilung finanzielle Mehraufwendungen von knapp 40 % zu erwarten gewesen. Dieser Mehraufwand wäre aufgrund zusätzlicher Schnittstellen entstanden, die erforderlich geworden wären, um die Adressierung zweier Auftragnehmer bzgl. Druck/Kuvertierung auf der einen und Versand auf der anderen Seite zu ermöglichen. Weitere Schnittstellen bergen zudem auch zusätzliche technische Risiken, die einer sicheren Leistungserbringung entgegenstünden.
Und Auftraggeber dürften sich grds. für einen sicheren Weg der Leistungserbringung entscheiden und müssten keine unnötigen Risiken eingehen. Die Argumente hatte der Auftraggeber umfassend dokumentiert. Die Dokumentation bestätigte auch, dass sich der Auftraggeber in ausreichender Tiefe und ernsthaft mit den widerstreitenden Interessen auseinandergesetzt hatte, wobei nicht zu beanstanden war, dass Ausführungen zu den Vorteilen der Losbildung für den Mittelstand abstrakt blieben – jedenfalls hatte der Auftraggeber diese Zwecke erkannt. Dass neben den tragenden Gesichtspunkten weitere Gründe benannt waren, die ihrerseits keine zusammenfassende Vergabe rechtfertigen konnten, sei nicht entscheidend.
Auch der Verzicht auf weitere Unterteilung in Gebietslose war nicht zu beanstanden. Es handelte sich um geringe Sendungsmengen, deren Versand auch mittelständischen Postunternehmen offensichtlich möglich war.
Wieder einmal zeigt sich: detaillierte Vorbereitung des Vergabeverfahrens und insbesondere umfassende Dokumentation zahlen sich aus!
von Prof. Dr. Christian-David Wagner, Fachanwalt für Vergaberecht
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