Erst prüfen, dann ausschließen
Nachdem die E-Vergabe zumindest bei EU-weiten Ausschreibungen seit mehr als einem Jahr verpflichtend ist, setzt bei Bietern und Auftraggebern eine gewisse Routine ein. Spätestens wenn bei der Übermittlung des Teilnahmeantrags oder Angebots technische Probleme auftreten, ist es jedoch mit der Routine vorbei. Insbesondere wird dann die Frage nach der Verantwortlichkeit von technischen Fehlern diskutiert und muss von den angerufenen Vergabekammern entschieden werden. In diesen Kontext reiht sich eine weitere Entscheidung der VK Münster (Beschluss v. 20.2.2019, VK 1-40/18) ein:
Ein Bieter hatte kurz vor Ende der Angebotsabgabefrist vergeblich versucht, sämtliche Anlagen zu seinem Angebot über das zu verwendende Vergabeportal hochzuladen. Der Auftraggeber will das Angebot wegen Unvollständigkeit ausschließen, ohne zuvor die Ursachen für den fehlerhaften Upload der Unterlagen aufzuklären.
Genau darin lag nach Ansicht der Vergabekammer das dem Auftraggeber vorwerfbare Verhalten. Vor Angebotsausschluss hätte der Auftraggeber prüfen müssen, ob ein technischer Fehler der Vergabeplattform dazu geführt hat, dass der Bieter nicht sämtliche Formulare hochlanden konnte. Die Prüfpflicht ergäbe sich aus der Regelung des § 56 Abs. 1 VgV sowie § 11 Abs. 1 VgV, wonach elektronische Mittel und deren technische Merkmale den Zugang von Unternehmen zum Vergabeverfahren nicht einschränken dürfen. Der Auftraggeber müsse daher im Rahmen der Vollständigkeitsprüfung untersuchen, wer die verspätete bzw. unvollständige Angebotsabgabe zu vertreten hat, insbesondere ob ihn ein sog. internes Organisationsverschulden trifft. Ist eine Aufklärung nicht ohne weiteres möglich, ist auch der Bieter bei der „Fehlersuche“ mit einzubeziehen.
Fazit für die Vergabepraxis: Auch in Zeiten der E-Vergabe bleibt es dabei, dass eine verspätete oder unvollständige Übermittlung des Angebots nur dann zum Ausschluss berechtigt, wenn das Bieterunternehmen dies zu vertreten hat. Technische Schwierigkeiten, die in der verwendeten Vergabeplattform selbst verankert sind, dürfen nicht zu Lasten des Bieters gehen (VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.12.2016, 1 VK 51/16). Auf der anderen Seite muss der Bieter dafür Sorge tragen, mit der jeweils aktuellen Softwareversion zu arbeiten (VK Südbayern, 19.03.2018 – Z3-3-3194-1-54-11/17).
Die hiesige Entscheidung stellt jedoch klar, dass der Auftraggeber vor einem Angebotsausschluss untersuchen muss, ob der Fehler aus seiner Risikosphäre resultiert. Zu Recht, denn nur er hat die Möglichkeiten, entsprechende Untersuchungen, z.B. anhand der Log-Dateien, durchzuführen zu lassen.
von Prof. Dr. Christian-David Wagner, Fachanwalt für Vergaberecht
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