Das neue Verhandlungsverfahren
Im Zuge der Vergaberechtsreform 2016 hat das Verhandlungsverfahren erhebliche Veränderungen erfahren. Der Verordnungsgeber hat die Anforderungen präzisiert, stärker strukturiert und insgesamt erweitert. Dies drückt sich bereits im Umfang der relevanten Vorschriften aus. Reichten nach der alten Gesetzeslage noch eine Handvoll Absätze aus, umfasst der das Verhandlungsverfahren regelnde § 17 VgV nunmehr 14 Absätze, die Parallelnorm des § 3b EU Abs. 3 VOB/A immerhin 10 Unterpunkte. Welche Änderungen konkret mit der Neufassung einhergegangen sind, soll Gegenstand des folgenden Beitrags sein.
Wesentliche Änderungen in Bezug auf das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb
Anwendungsbereich: Neu ist, dass ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb nunmehr auch dann zulässig ist, wenn im Rahmen eines offenen oder nicht offenen Verfahrens keine ordnungsgemäßen oder nur unannehmbare Angebote eingegangen sind. Sofern der Auftraggeber in das Verhandlungsverfahren alle geeigneten Unternehmen einbezieht, die form- und fristgerechte Angebote eingereicht haben, kann er sogar auf die Durchführung eines Teilnahmewettbewerbs verzichten (vgl. § 14 Abs. 3 Nr. 5 VgV).
Darüber hinaus sind gemäß § 14 Abs. 3 VgV nunmehr vier weitere Konstellationen vorgesehen, bei deren Vorliegen der Auftraggeber Aufträge im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb vergeben kann:
1. notwendige Anpassungen bereits verfügbarer Lösungen;
2. konzeptionelle oder innovative Lösungen, wie zum Beispiel freiberufliche Leistungen (vgl. auch § 75 VgV)
3. konkrete Umstände aufgrund der Art, Komplexität oder dem rechtlichen oder finanziellen Rahmen des Auftrags verlangen vorherige Verhandlungen;
4. Leistungen, insbesondere ihre technischen Anforderungen, die nicht mit ausreichender Genauigkeit unter Verweis auf eine Norm beschrieben werden können.
Ausgestaltung des Verfahrens: Das Verfahren selbst ist nunmehr wesentlich stärker strukturiert und grundsätzlich in vier Phasen untergliedert: den Teilnahmewettbewerb (sog. Präqualifikationsphase), die erste Angebotsphase, die Verhandlungsphase und die zweite Angebotsphase.
Sowohl für die Teilnahme- oder Präqualifikationsphase, als auch die erste Angebotsphase gelten nunmehr Mindestfristen, was im Gegensatz zur „alten“ Rechtslage zu einer erheblichen Verlängerung der Verfahrensdauer führt.
Beispiel einer Zeitschiene für ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb, bei dem mit fünf Unternehmen eine Verhandlungsrunde durchgeführt wird, ohne dass die Voraussetzungen einer besonderen Dringlichkeit vorliegen.
Verfahrensschritt – Zeit in Kalendertagen
Frist Eingang der Teilnahmeanträge (vgl. § 17 Abs. 2 VgV) – 30
Eignungsprüfung für fünf eingegangene Teilnahmeanträge – 5
Frist Eingang der Erstangebote im schriftlichen Verfahren (vgl. § 17 Abs. 6 VgV) – 30
Wertung fünf Erstangebote – 5
Durchführung erste Verhandlungsrunde einschließlich Vorbereitung, Einladung, Abstimmung – 10
Frist Eingang finale Angebote – 15
Wertung fünft finale Angebote – 5
Wartefrist gemäß § 134 Abs. 2 GWB – 10
gesamt – 110
Selbst wenn der öffentliche Auftraggeber den Auftrag auf Grundlage der Erstangebote vergeben würde, läge die Verfahrensdauer noch immer bei ca. 80 Kalendertagen. Wichtig ist, dass sich der öffentliche Auftraggeber diese Möglichkeit in der Bekanntmachung oder der Aufforderung zur Interessensbestätigung vorbehalten muss (vgl. § 17 Abs. 11 VgV).
Wesentliche Änderungen in Bezug auf das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb
Anwendungsbereich: Die Anwendungsvoraussetzungen haben sich in Bezug auf das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb weit weniger stark verändert. Die Möglichkeit einer Beschaffung zu besonders günstigen Bedingungen aufgrund von Insolvenzverfahren u.a., bezieht sich nunmehr neben Liefer- auch auf Dienstleistungen (vgl. § 14 Abs. 4 Nr. 7 VgV).
Ausgestaltung des Verfahrens: Wie auch das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb, wird das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb von der starken Struktur des § 17 VgV umfasst. Anders als das bereits dargestellte Verfahren beginnt das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb unmittelbar mit Aufforderung zur Abgabe von Erstangeboten an vom öffentlichen Auftraggeber ausgewählte Unternehmen.
Fazit
Aufgrund der Erweiterung des Anwendungsbereichs wird das Verhandlungsverfahren (mit Teilnahmewettbewerb) künftig häufiger zur Anwendung kommen können. Allerdings bleibt aufgrund der stärkeren Reglementierung abzuwarten, inwieweit die vom europäischen Richtliniengeber beabsichtigte Flexibilität tatsächlich erzielt wird. Der Preis den öffentliche Auftraggeber in Form einer erheblich verlängerten Verfahrensdauer zahlen müssen ist jedoch hoch.
von Dr. Christian-David Wagner, Fachanwalt für Vergaberecht
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