Nachhaltige IT-Beschaffung: Wie öffentliche Auftraggeber ihre Verantwortung wahrnehmen und von nachhaltiger Beschaffung profitieren können

Bei der Vergabe werden soziale und umweltbezogene Aspekte berücksichtigt, heißt es in § 97 Abs. 3 GWB. Die öffentliche Hand bekennt sich zur Nachhaltigkeit. Dies zeigen etwa die „Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie“ und das „Maßnahmenprogramm Nachhaltigkeit“ des Bundes, die Erklärung „Gemein-sam für eine nachhaltige Entwicklung“ und zahlreiche Vergabegesetze der Länder sowie Initiativen der Kommunen. Das Vergaberecht lässt die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten im Vergabeverfahren auf verschiedene Weise seit vielen Jahren sehr weitgehend zu.

Nachhaltige Beschaffung als rechtliche Verpflichtung

Eine immer umfangreicher werdende Anzahl an Normen sieht eine nachhaltige Beschaffung aber nicht mehr nur freiwillig vor, sondern fordert diese als Rechtspflicht ein (vgl. z.B. § 13 Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG), die Allgemeine Verwaltungsvorschrift für die Beschaffung klimafreundlicher Leistungen (AVV Klima) und § 45 Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG)). Zudem trifft den öffentlichen Einkauf eine besondere Verantwortung: Die öffentliche Hand kann nicht zuletzt aufgrund ihrer Marktmacht (mit einem Auftragsvolumen von etwa EUR 500 Mrd. pro Jahr) Anreize zur Verfolgung von Nachhaltigkeitszielen durch die Anbieterseite schaffen. Gleichzeitig hat sie eine Vorbildrolle für private Beschaffungsverantwortliche.

Handlungsbedarf und Hemmnisse bei der Umsetzung einer nachhaltigen Beschaffung

Tatsächlich aber wird die öffentliche Beschaffung den selbst gesetzten Zielen aktuell nicht gerecht. Bei der öffentlichen Hand gibt es neben politischen Bekenntnissen für eine nachhaltige Beschaffung immer wieder sehr motivierte Einzelpersonen, die oft schon seit Jahren „Pionierarbeit“ leisten und unermüdlich für eine nachhaltige Beschaffung und für die Berücksichtigung umweltbezogener und sozialer Aspekte in der Vergabe kämpfen. In der praktischen Anwendung bei der breiten Masse der Beschaffungen ist das Thema aber noch nicht angekommen. Der Bundesrechnungshof hat 2022 scharf geurteilt: „Alle geprüften zentralen Beschaffungsstellen wurden ihrer […] Rolle als Manager, Förderer und Berater für nachhaltige Beschaffung noch nicht ausreichend gerecht.“ (vgl. Bundesrechnungshof, Bericht nach § 88 Abs. 2 BHO an die Bundesregierung über die Prüfung der Nachhaltigen Vergaben in der Bundesverwaltung, 2022, Gz.: V 5 – 2020 – 0005, S. 3). Dies wird durch die Vergabestatistik des Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz belegt. Von den für das Jahr 2021 gemeldeten Vergaben wurden nur in ca. 12 bis 13 % Nachhaltigkeitskriterien (umweltbezogene, soziale und innovative Aspekte) berücksichtigt (im 1. Halbjahr 2021 in ca. 11.000 von 87.000 Verfahren, im 2. Halbjahr 2021 in ca. 12.000 von 95.000 Verfahren). Wesentliche Ursachen hierfür dürften folgende sein:

  • Fehlende personelle Kapazitäten,
  • Sorge vor Rechtsverstößen und Beanstandungen,
  • fehlende Kenntnis von rechtlichen Rahmenbedingungen und Spielräumen,
  • Sorge vor teureren oder ausbleibenden Angeboten,
  • Bedenken hinsichtlich der Überprüfbarkeit der Angaben im Vergabeverfahren.

Auch für die Beschaffung von Liefer- und Dienstleistungen im Bereich Informations- und Kommunikationstechnik (kurz „IT“) besteht Handlungsbedarf. Dabei ist das Thema Nachhaltigkeit in dieser Warengruppe von besonderer Relevanz. Denn Herstellung, Betrieb und Entsorgung von IT-Produkten sowie die Durchführung von IT-Dienstleistungen können nicht nur gravierende Auswirkungen auf die Umwelt, sondern auch unmittelbaren Einfluss auf die Menschen haben, die an dem Lebenszyklus dieser Beschaffungsgegenstände beteiligt sind.

Gesetzliche Pflichten für eine nachhaltige Beschaffung von IT-Leistungen

Gesetzliche Pflichten für eine nachhaltige Beschaffung von IT-Leistungen ergeben sich zum Beispiel

  • aus § 67 VgV bzw. § 58 SektVO (für die Beschaffung energieverbrauchsrelevanter Leistungen),
  • aus § 13 KSG (Pflicht zur Berücksichtigung der Klimaschutzziele),
  • aus der AVV Klima (Pflicht zur Beschaffung klimafreundlicher Leistungen),
  • aus § 45 KrWG (z.B. Pflicht zur Bevorzugung rohstoffschonender, energiesparender, abfallarmer, langlebiger, reparierbarer, schadstoffarmer, recyclingfähiger Produkte zur Förderung der Kreislaufwirtschaft),
  • im Land Berlin z.B. aus Ziff. II.7.1 der Verwaltungsvorschrift Beschaffung und Umwelt (VwVBU) (Berücksichtigung der Lebenszykluskosten) und aus Leistungsblättern zur Technischen Ausstattung in Anhang 1 zur VwVBU (z.B. zum Energieverbrauch und zur Austauschbarkeit von Komponenten),
  • in Hamburg z.B. aus Ziff. 4.3.3 des Umweltleitfadens (Vereinbarung der Verpflichtungserklärung zur sozialen Nachhaltigkeit für IT, Nachweis der Anforderungen des Gütezeichens TCO Certified),
  • und in Baden-Württemberg aus Ziff. 10.4 der Verwaltungsvorschrift der Landesregierung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (VwV Beschaffung) (z.B. zur verpflichtenden Prüfung eines Einsatzes von Open Source-Produkten).

Die für einen konkreten Beschaffungsvorgang geltenden Nachhaltigkeitspflichten sind in verschiedenen Gesetzen und Regularien verstreut und im Einzelfall zu prüfen, weil sie abhängig vom persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich (wer beschafft wo und was) sind.

Mögliche Ansätze für die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in IT-Vergaben

Auch gibt es leider nicht das eine Umweltkriterium oder das eine Sozialkriterium, das standardmäßig in jeder IT-Vergabe angewendet werden kann. Denn dafür sind das Thema Nachhaltigkeit und die Beschaffungsgegenstände zu komplex und die Anbietermärkte zu schnelllebig. Für die Implementierung einer nachhaltigen öffentlichen Beschaffung geht es deshalb darum, sich mit den rechtlichen Anwendungsmöglichkeiten und Spielräumen und den Unterstützungsangeboten für Beschaffungsverantwortliche zu befassen. Einrichtungen wie beispielsweise die Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung bieten ein sehr breites Informationsangebot.

Dann zeigt sich schnell, dass sich Nachhaltigkeit mit überschaubarem Aufwand in den Beschaffungsprozess integrieren lässt, dass schon erste Schritte wichtige Verbesserungen für Umwelt und Menschen haben können und nachhaltige Beschaffung sogar zu einer wirtschaftlicheren Beschaffung führen kann (vgl. z.B. Studie „Umwelt- und Kostenentlastung durch eine umweltverträgliche Beschaffung“ des Öko-Instituts e.V. im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin).

Bei der Überlegung, welche Nachhaltigkeitsaspekte in einem konkreten Beschaffungsprozess berücksichtigt werden sollten, kann es insbesondere bei der Beschaffung von Hardware helfen, entlang des Lebenszyklus des Auftragsgegenstandes zu denken:

  • Bei der Gewinnung von Rohstoffen und der Herstellung des Gegenstandes können beispielsweise eine Nichtverwendung von Konfliktmineralien, angemessene Gesundheits- und Arbeitsschutzmaßnahmen, faire Bezahlung und eine Fertigungsweise zur Sicherstellung der Langlebigkeit (Austauschbarkeit von Einzelkomponenten, Erweiterbarkeit) und Wiederverwertbarkeit eine wichtige Rolle spielen.
  • Beim Transport können zum Beispiel der Einsatz von recyceltem oder wiederverwendbarem Verpackungsmaterial und eine klimaverträgliche Transportlogistik relevant sein.
  • Für die Nutzungsphase sollten beispielsweise Energieverbrauch, Informationsangebote für Nutzende zu Energieeinsparmöglichkeiten durch Nutzungsverhalten, Lärmemissionen und die Verfügbarkeit von Ersatzteilen für bestimmte Zeiträume in den Blick genommen werden.
  • Zum Ende der Nutzung des Gegenstandes können Verfügbarkeit von und Informationen zu Rücknahmesystemen oder Informationen für eine korrekte Entsorgung von Relevanz sein.

Für die Beschaffung von Software und IT-Dienstleistungen eignen sich diese beispielhaft aufgeführten umweltbezogenen und sozialen Aspekte nur bedingt. Auch hier ist nachhaltige Beschaffung aber wichtig und sinnvoll. So können Kompetenzen in nachhaltiger Softwareentwicklung (Green Coding) beispielsweise zu einer erheblichen Reduktion des Energie- und Ressourcenverbrauchs und damit Verursachung von Treibhausgasemissionen führen. Die Nutzung von Open Source Software, die langfristige Versorgung mit Softwareupdates oder die Beschaffung von Programmierungsleistungen für barrierefreie Websites tragen ebenfalls zur Nachhaltigkeit bei.

Umweltbezogene oder soziale Aspekte können im Rahmen des Beschaffungsvorgangs auf verschiedenen Ebenen berücksichtigt werden. Nachhaltiges Handeln in der öffentlichen IT-Beschaffung fängt schon mit der Frage an, ob überhaupt etwas Neues erworben werden soll, also bei der Bedarfsermittlung. Alternativen zum Kauf eines neuen Produkts können beispielsweise die Reparatur und fortgeführte Nutzung eines vorhandenen Produkts oder die Beschaffung eines gebrauchten und wiederaufbereiteten Produkts sein. Solche Ansätze sind oft nicht nur umwelt- und sozialverträglicher, sondern auch wirtschaftlicher. In der Leistungsbeschreibung können zwingend einzuhaltende Nachhaltigkeitsanforderungen aufgestellt werden, deren Nichterfüllung zum Angebotsausschluss führt, beispielsweise in Form von maximal zulässigen Energieverbräuchen, zur Messung und Dokumentation des Energieverbrauchs einer Software während der Entwicklung oder zum Verbot von Chemikalien, die in der REACH-Kandidatenliste als besonders besorgniserregende Stoffe aufgeführt sind.

Bevor eine Nachhaltigkeitsanforderung als zwingende Anforderung in die Leistungsbeschreibung aufgenommen wird, sollte der Auftraggeber in jedem Fall prüfen, ob der relevante Anbietermarkt diese Anforderung auch erfüllen kann. Hierfür ist eine Markterkundung gemäß § 28 VgV, § 20 UVgO vergaberechtlich zulässig und sinnvoll. Hierdurch wird das Risiko minimiert, dass das Vergabeverfahren mangels (zuschlagsfähiger) Angebote scheitert.

Umweltbezogene oder soziale Aspekte, die zwar gewünscht sind, aber (noch) nicht durch eine breite Anzahl an Anbietern erfüllt werden können, sollten dagegen als Zuschlagskriterien vorgesehen werden. In Betracht kommen dafür zum Beispiel die Versorgung von Softwareupdates über einen Mindestzeitraum hinaus oder die Förderung existenzsichernder Löhne in der Lieferkette. Sinnvoll im Sinne der Nachhaltigkeit ist jedenfalls die Bewertung von Lebenszykluskosten anstelle einer Bewertung des reinen Anschaffungspreises.

Umweltbezogene oder soziale Belange können darüber hinaus auch als Bedingungen an die Auftragsausführung berücksichtigt werden, die sich nicht auf den Leistungsgegenstand an sich beziehen. Denkbar wäre beispielsweise die Vorgabe, für die Produktlieferung nur recycelbares Verpackungsmaterial zu verwenden oder die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen entlang der Lieferkette.

Auf der Eignungsebene sind die Möglichkeiten der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten eingeschränkt, weil nur bestimmte Eignungsnachweise gefordert werden dürfen. Hier könnten zum Beispiel Angaben zu Umweltmanagementmaßnahmen des Anbieters für die Auftragsausführung gefordert werden.

Das Vergaberecht fordert für die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten immer einen Bezug zum Auftragsgegenstand. Der Auftragsbezug wird aber weit verstanden, es reicht, wenn eine Verbindung mit einem Prozess z.B. zur Herstellung eines Gegenstandes im Lebenszyklus der Leistung besteht, ohne dass eine Auswirkung auf materielle Eigenschaften des Auftragsgegenstandes bestehen muss. Unzulässig sind allgemeine unternehmenspolitische Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers gegenüber den Anbietern (z.B. die Forderung nach einer generellen Ausrichtung des Unternehmens).

Nachweismöglichkeiten

Öffentliche Auftraggeber empfinden das Überprüfen der Einhaltung umweltbezogener und sozialer Anforderungen insbesondere aufgrund der Komplexität der Lieferketten von IT-Produkten oft berechtigterweise als Herausforderung. Eine pragmatische Lösung kann es sein, eine Nachweisführung durch die Bieter mittels Gütezeichen wie Blauer Engel oder TCO Certified zu fordern. Der Nachweis mittels Gütezeichen hat für den Auftraggeber den Vorteil, dass die Überprüfung der Nachhaltigkeitsanforderungen durch einen Dritten vorgenommen wird. Möglich sind aber auch andere Nachweisarten, wie qualifizierte Eigenerklärungen der Bieter.

Die Versprechungen, die die Bieter im Vergabeverfahren bezüglich der Einhaltung von Nachhaltigkeitsanforderungen gemacht haben, müssen zur Sicherstellung einer wirtschaftlichen Beschaffung und eines fairen Wettbewerbs vertraglich abgesichert werden.

Praxistipp

Längst ist die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten an vielen Stellen zur rechtlichen Pflicht geworden. Für die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in IT-Vergaben gibt es viele vergaberechtlich zulässige Ansatzpunkte. Oftmals fördert eine nachhaltige Beschaffung auch die Wirtschaftlichkeit der Beschaffung. Schon einzelne Maßnahmen können eine große Wirkung haben. Wichtig ist deshalb, das Thema (auch) in IT-Vergaben voranzutreiben und so der Verantwortung des öffentlichen Einkaufs gerecht zu werden. Eine vollständige Implementierung einer nachhaltigen Beschaffung wird nicht von heute auf morgen gelingen. Umso wichtiger ist es, im Rahmen einer Strategie für eine nachhaltige Beschaffung zu definieren, in welchen Bereichen und Beschaffungsvorhaben mit der Implementierung sinnvoll begonnen werden soll. Denn es geht darum, unbedingt ins Handeln zu kommen und Erfahrungen zu sammeln.

Julia Gielen

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Vergaberecht

Öffentlicher Sektor, KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH

 

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Vertrieb im Public Sector

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online | Fr. 12.09.2025 | 13:00

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